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Weiß die Motte, was sie als Raupe gelernt hat?
Insekten, die eine vollständige Metamorphose durchlaufen, erleben gewaltige Verän-
derungen der Anatomie und Lebensweise. Man glaubt es kaum, dass es sich bei der
Blätter fressenden Raupe um den gleichen Organismus handelt wie der später aus der
Puppe hervorgehende Falter. In der Puppe wird das Raupengewebe praktisch komplett
aufgelöst, bevor sich die adulte Form bildet. Sogar das Nervensystem wird größtenteils
abgebaut.
Trotz all dieser Veränderungen während der Metamorphose können sich Falter of-
fenbar an das erinnern, was sie als Raupe gelernt haben. Das ergab eine neuere Un-
tersuchung, die von Martha Weiss und ihren Kollegen an der Georgetown University
in Washington durchgeführt wurde. Sie trainierten Raupen des Tabakschwärmers Man-
duca sexta auf eine Aversion gegen den Geruch von Äthylazetat: Immer wenn die Tiere
diesem Geruch ausgesetzt wurden, bekamen sie zusätzlich leichte elektrische Schläge.
Nach zwei Häutungen im Larvenstadium und der Metamorphose im Puppenstadium
zeigte sich bei den ausgewachsenen Faltern eine Aversion gegen Äthylazetat, obwohl ihr
Nervensystem einen radikalen Umbau erfahren hatte. Weiss und ihre Kollegen nahmen
genaue Kontrolluntersuchungen vor, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um eine
Übertragung von Gelerntem handelte und nicht einfach von den Raupen aufgenommene
Geruchsstoffe mitgeschleppt worden waren. [352]
Wenn sich ausgewachsene Falter an Erfahrungen des Raupenstadiums erinnern, kön-
nte das von Bedeutung für die Evolution sein. Sollten beispielsweise die Erfahrungen, die
eine Raupe mit bestimmten Pflanzen gemacht hat, das Verhalten des erwachsenen Fal-
ters beeinflussen, so würde der weibliche Falter seine Eier nicht an schädlichen Pflan-
zen ablegen, sondern zuträgliche bevorzugen, selbst wenn diese Falterart noch keine Er-
fahrung mit diesen Pflanzen gemacht hat. Neue Vorlieben für bestimmte Wirtspflanzen
könnten sich innerhalb einer Generation entwickeln und würden auch bei den Nachkom-
men bestehen bleiben. Eine Spezies könnte sehr rasch neue Ernährungsgewohnheiten
ausbilden.
Die Übertragung von Gelerntem von der Raupe auf den Falter wäre unter dem Gesicht-
spunkt, dass das Nervensystem im Verlauf dieser Entwicklung fast vollständig umgebaut
wird, kaum mit in materieller Form gespeicherten Erinnerungsspuren zu erklären. Es
weist aber auch bei höheren Tierarten und beim Menschen manches darauf hin, dass
Erinnerungen nicht als Spuren gespeichert sind und erhebliche Schädigungen des Ge-
hirns überdauern können.
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