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hinzuzufügen: »Einen ›Architekten‹ gibt es natürlich nicht.« [287] Diese gelegentlichen De-
mentis ändern allerdings nichts daran, dass seine eingängige Argumentation ihren gan-
zen Schwung seinen anthropozentrischen Metaphern und animierten Molekülen verd-
ankt. Das ist Vitalismus in molekularem Gewand.
Auch die Metapher des genetischen Programms gehört zu diesem Kryptovitalismus.
Ein Computerprogramm muss hier die Rolle des zielgerichteten Vitalfaktors spielen, und
mit dieser Metapher möchte man die Kluft zwischen erblichen Merkmalen wie etwa der
Form einer Sonnenblume und ihren DNA - und Eiweißmolekülen überbrücken. Wenn die
Entwicklung einer Sonnenblume irgendwie in den Genen programmiert ist, erscheint die
Kluft zwischen dem Bau dieses komplexen Organismus und den in ihm enthaltenen DNA -
Molekülen schon viel weniger beunruhigend - obwohl in Wirklichkeit so gut wie nichts
über das »Sonnenblumenprogramm« bekannt ist und niemand weiß, wie es eine Sonnen-
blume hervorbringt.
Die Metapher des genetischen Programms erweckt zwangsläufig den Eindruck,
Entwicklung folge einem präexistenten Zweckprinzip, das entweder selbst geistartig ist
oder von einem Geist installiert wurde. Computerprogramme werden von menschlicher
Intelligenz für bestimmte Zwecke entwickelt und über die elektronische Apparatur eines
Computers ins Werk gesetzt. Der Computer ist eine Maschine, das Programm nicht.
Bezeichnenderweise spielte die Analogie von Programm und Seele eine bedeutende
Rolle im Denken Alan Turings, eines der Wegbereiter der modernen Computertheorie.
Nach dem Tod eines sehr guten Freundes 1930 verfolgte ihn die Frage des Weiterlebens
nach dem Tod. Zuerst nahm er den traditionellen dualistischen Standpunkt ein und ging
von der Existenz eines immateriellen Geistes aus. Später fand er ein wissenschaftlicher
klingendes Modell und nannte den Geist ein System von Programmen. Diese Programme
konnten in physischen Maschinen »verkörpert« sein, waren aber nicht auf materielle Ink-
arnation angewiesen. [288] Das Programm konnte den Untergang eines bestimmten Com-
puters überleben und sich wie eine wandernde Seele in einem anderen verkörpern.
Würden die Gene genetische Programme enthalten, müssten alle Zellen des Körpers
gleich programmiert sein, weil sie im Allgemeinen alle die gleichen Gene enthalten. Die
Zellen beispielsweise Ihrer Arme und Beine sind genetisch genau gleich. Auch die Ei-
weißmoleküle sind überall gleich, Knochen, Knorpel und Nerven sind chemisch überall
gleich. Aber Arme und Beine unterscheiden sich in der Form. Die Gene allein können
diese Unterschiede nicht erklären. Es müssen unabhängig von ihnen formgebende Ein-
flüsse existieren, die in den verschiedenen sich entwickelnden Organen und Geweben
unterschiedlich wirken. An dieser Stelle fängt der Begriff des genetischen Programms in
den meisten herkömmlichen Erklärungen an zu verschwimmen, und er geht in sehr vage
Aussagen über. Darin kommen dann »komplexe raumzeitliche Muster der physikalisch-
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