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Werden die Gene überbewertet?
Es liegt eine Kluft zwischen dem, was den Genen angedichtet wird, und dem, was sie tat-
sächlich vermögen. Beeindruckende Metaphern fesseln die Leser populärwissenschaft-
licher Bücher und steigern die Investitionsbereitschaft im Bereich Biotechnologie. Ei-
gentlich geht das Problem in gerader Linie auf Weismann zurück, der die Determinanten
zu einer aktiven, die Entwicklung eines Organismus steuernden Instanz gemacht hatte.
In gewisser Weise hatte er eine spezielle Materieform, das Keimplasma, mit Seelen-
kräften ausgestattet. Auch Ausdrücke wie »genetisches Programm« und »egoistisches
Gen« schreiben den Genen etwas Geistiges zu und darüber hinaus Vitalkräfte, mit denen
sie »Materie gestalten« und »Form erschaffen« können. [285]
Dank der Entdeckungen der Molekularbiologie wissen wir, was Gene tatsächlich
leisten. Sie geben die Abfolge der Aminosäuren beim Aufbau von Polypeptidketten vor,
die sich dann zu Proteinmolekülen falten. Einige Gene sind außerdem an der Steuerung
der Proteinsynthese beteiligt.
DNA -Moleküle sind eben das: Moleküle. Sie sind nicht »Determinanten« bestimmter
Strukturen, auch wenn Biologen vielfach von Genen »für« bestimmte Strukturen oder
Aktivitäten sprechen, etwa »für« lockiges Haar oder »für« das Nestbauverhalten der
Sperlinge. Gene sind nicht egoistisch oder gar rücksichtslos egoistische Mikrogangster.
Sie sind auch keine Pläne oder Anweisungen. Sie geben einfach nur die Abfolge der
Aminosäuren in Eiweißmolekülen vor.
Richard Dawkins dürfte mehr als jeder andere Autor zur Popularisierung der Gene bei-
getragen haben. Seine Metaphern sind sehr eingängig, aber leider ebenso irreführend.
Hier zum Beispiel seine Darstellung des Umstands, dass alle Körperzellen Kopien der
kompletten DNA enthalten:
Diese DNA kann man als Bauanleitung für einen Körper auffassen … Es ist, als be-
fände sich in jedem Zimmer eines gigantischen Gebäudes ein Bücherregal mit den
Bauplänen für das gesamte Gebäude. Dieses Bücherregal in der Zelle nennen wir
Zellkern. Die Baupläne füllen beim Menschen 46 Bände - bei anderen Spezies kann
es eine andere Anzahl sein. Die »Bände« bezeichnen wir als Chromosomen. [286]
Dawkins projiziert letztlich die zielorientierten Vitalfaktoren des Vitalismus auf die DNA -
Moleküle und versucht, die Gene - Molekülbestandteile - mit einer Seele auszustatten,
und plötzlich verfügen sie über Pläne, Anweisungen, Ziele und Absichten, die sie unmög-
lich haben können. Er gibt selbst zu, dass es sich um Metaphern handelt, und beeilt sich
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