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Aber Menschen haben Ziele, Pflanzen und Tiere verhalten sich zielorientiert. So
tauchen Zweck und Ziel also doch immer wieder auf, nur werden sie in neue Vokabeln
wie »Teleonomie« verpackt oder erscheinen als »egoistische Gene« mit, wie Richard
Dawkins meint, einem unwiderstehlichen Drang, sich durch Vermehrung fortzusetzen:
»Sie sind in Ihnen und mir, sie haben uns an Körper und Geist erschaffen, ihre Erhaltung
ist letztlich der Grund für unser Vorhandensein.« [256]
Die meisten Biologen sind zwischen der praktischen Anerkennung der Teleologie
oder Teleonomie einerseits und ihrer Ablehnung zugunsten einer mechanistischen Ideo-
logie andererseits hin- und hergerissen. Fast überall in der modernen Biologie geht
dieses Thema in einem Wust aus teleologischer Ausdrucksweise und pflichtschuldiger
Leugnung unter, verschlimmert noch durch die Verwechslung zweier unterschiedlicher
Bedeutungen von »Ziel und Zweck«: einerseits im Hinblick auf die Wachstums-, Selb-
sterhaltungs- und Vermehrungsfähigkeit der Lebewesen, die in ihrem Lebenszyklus nor-
malerweise vererbte, also von den Vorfahren übernommene Muster wiederholen; und
zweitens im Hinblick auf die Frage, ob der Evolutionsprozess insgesamt an Zielen oder
Zwecken orientiert ist. Das sind unterschiedliche Fragen, und ich möchte die Möglich-
keit evolutionärer Zwecke am Schluss dieses Kapitels wieder aufgreifen.
Nicht nur bei Lebewesen zielt das Verhalten auf etwas ab. Auch das Verhalten eines
fallenden Steins besitzt eine Richtung: Er wird zum Erdboden hin gezogen und kommt
dort zur Ruhe. Ein Stück Eisen wird von einem Magneten angezogen und bewegt sich
in seine Richtung, bis es ihm so nahe wie möglich gekommen ist. Anziehung durch Sch-
werkraft, Magnetismus oder Elektrizität rufen in beschränktem Maße gerichtete Aktiv-
ität hervor. Lebewesen gehen noch darüber hinaus.
Der Biologe Edward S. Russell fasste die allgemeinen Züge zielorientierten Verhaltens
bei lebenden Organismen 1945 in seinem Buch The Directiveness of Organic Activities
(Lenkende Kräfte des Organischen) zusammen:
Wenn das Ziel erreicht ist, hört die Aktivität auf. Das Ziel ist in der Regel der End-
punkt der Aktion.
Solange das Ziel nicht erreicht ist, geht die Aktivität in den meisten Fällen weiter.
Die Aktivität kann abgewandelt werden: Lässt sich das Ziel nicht auf die gewohnte
Art erreichen, werden die Bemühungen auf eine andere Weise fortgesetzt.
Ein bestimmtes Ziel kann von verschiedenen Ansatzpunkten her erreicht werden.
Äußere Umstände wirken sich auf die zielgerichtete Aktivität aus, bestimmen sie
aber nicht.
Ein Beispiel für den Fall, dass ein Ziel von verschiedenen Ausgangspunkten her erreicht
werden kann, ist die Entwicklung eines Libellen-Eis nach seiner partiellen Zerstörung
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