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in die Stadt, um hier ihr Glück zu suchen
und vom immer noch andauernden wirt-
schaftlichen Aufschwung zu profitieren.
Wer es bis in die Metropole geschafft
hat, hat reale Chancen, am sensationel-
le Boom Shanghais teilzuhaben.
Der „echte Shanghaier“ neigt jedoch
leider dazu, in seiner Überheblichkeit je-
den Zuwanderer zunächst skeptisch und
mit einer gewissen Portion Herablassung
zu betrachten. Wanderarbeiter aus ärme-
ren Nachbarprovinzen wie Anhui oder Ji-
angxi, die einen Großteil der niederen Ar-
beiten wie Müllsammeln oder Bauarbei-
ten verrichten, ohne die Shanghai nicht
überleben könnte, bilden den Hauptge-
genstand der Shanghaier Verachtung.
Diesen Chauvinismus gibt es jedoch
nicht ausschließlich in Shanghai. Der
Ausdruck waidiren ist in ganz China be-
kannt für Menschen, die nicht aus der ei-
genen Gegend stammen und denen ge-
genüber man sich natürlich überlegen
fühlt. Sehr ausgeprägt ist dieses Denken
aber - nicht zuletzt aufgrund der heuti-
gen wirtschaftlichen Stellung im Land -
in Shanghai.
Auch wenn diese teilweise Überheb-
lichkeit mehr und mehr von gebildeten,
aufstrebenden und ehrgeizigen Chine-
sen aus anderen Teilen des Landes im-
mer öfter herausgefordert wird, bleibt
weiterhin der Stolz auf den eigenen Di-
alekt lebendig. Der Shanghai-Dialekt
ist eine Unterkategorie des ostchinesi-
schen Wu-Dialekts, einem von sechs chi-
nesischen Hauptdialekten neben dem
Mandarin mit nur zwei ausgeprägten Tö-
nen. Es gibt viele Begriffe, die im Man-
darin nicht existieren. Insbesondere Be-
griffe aus der Wirtschaft findet man oft-
mals nur im Shanghai-Dialekt. Da über-
rascht es nicht, dass die Shanghaier
ihren Dialekt, der von Chinesen aus an-
deren Landesteilen kaum zu verstehen
ist, als den am meisten verfeinerten von
allen betrachten.
Auch heute noch hält der „echte Shang-
haier“ fast jeden, der außerhalb der
Stadtgrenzen lebt, für einen Bauern oder
Landei. Die größte Rivalität gibt es zu den
„Hinterwäldlern“ aus Beijing im Norden
und den „schlangenfressenden“ Kanto-
nesen im Süden. Das spannungsgela-
dene Verhältnis zwischen Shanghai und
Beijing ist vielleicht mit jenem zwischen
Düsseldorfer und Köln zu vergleichen.
Das Hongkouer Fußballstadion ist zumin-
dest immer dann besonders gut besucht,
wenn die Mannschaft aus Beijing kommt.
Von fast allen anderen Chinesen wer-
den die Shanghaier häufig als oberfläch-
lich, arrogant, grob, rücksichtslos, geris-
sen, geldgierig und unpatriotisch darge-
stellt. „Beijing ren ai guo, Shanghai ren
mai guo, Guangdong ren chuguo“ lautet
der Refrain eines in den späten 1990er-
Jahren sehr populären Liedes. Wörtlich
übersetzt bedeutet dies: „Beijinger lie-
ben ihr Land, Shanghaier verkaufen ihr
Land, während Kantonesen ihr Land ver-
lassen.“ (Kantonesen bildeten die gro-
ße Masse der chinesischen Emigranten.)
Dies verdeutlicht das in China gängige
Vorurteil, dass ein Shanghaier alles und
jeden verkauft, nur um eine „schnelle
Mark“ zu machen.
Shanghaier haben auch den Ruf, die
modebewusstesten Chinesen über-
haupt zu sein. Ein kantonesischer Witz
beschreibt den Shanghaier als besorgt,
nicht weil sein Haus abbrennt (denn dort
steht ja sowieso nichts drin), sondern
weil er sich seine Kleidung - denn die
ist alles, was er besitzt - im Regen und
Staub der Stadt ruinieren könnte.
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