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»Ja, so ist das«, bestätigte ich.
»Ja, dann …«
Sie räumte all die Kataloge wieder weg und fing an, im Schrank hinter sich zu kramen. In einer der un-
teren Schubladen fand sie einen zerfledderten, ganz dünnen Katalog. Sie legte ihn vor mich hin. Auf dem
Titelblatt stand: »Reisen allein«, die Schriftzeichen waren rund und geschwungen, so wie schülerhaft pen-
ibel mit Filzstift gemalt. Dazu war ein allzu schlichtes Hotelzimmer mit einem schmalen Einzelbett abge-
bildet, neben dem ein einzelner leerer Massagesessel stand. »Einmal ganz egoistisch ausspannen«, lautete
die Unterzeile.
»Die ganzen Orte sind ziemlich nah an Tokio«, erklärte die Reiseberaterin und fing an zu blättern.
»Kann ich so eine Broschüre mitnehmen?«, fragte ich. Sie fing wieder an zu suchen.
»Nein,wirhabendavonnureine,dieNachfrageistnichtsogroß.AberwennSiebeiJapanTravelBureau
vorbeigehen - da gibt es die.«
Ich bedankte mich und ging. Bildete ich mir das ein, oder klang der Chor von Stimmen hinter mir,
»Vielen Dank und auf Wiedersehen«, etwas misstrauisch?
Man fährt in Japan nicht einfach allein zum Spaß weg.
Also buchte ich meine Reise ohne Single-Diskriminierung online. Eines der wenigen Ziele, das nach
Auswahl der Personenzahl »1« übrig blieb, war Shimoda auf der Halbinsel Izu, wo auch Kenjis Heimatort
Atami liegt.
Hier wachsen Palmen wie in den Tropen und zugleich Bambus und Zedern. Die Büsche auf den sanften
Hügelnleuchten sattgrün. ImheißenBaddesHotels raubtemirderBlick denAtem. Eines derdampfenden
Becken lag außen Richtung Meer und war links und rechts von Palmen und anderem exotischen Gewächs
eingerahmt.IchweichtenacktimheißenWassereinundschautezuerstaufeinesanftgeschwungeneBucht
miteinerschroffabfallendenFelsküste;dahinterlageinerdieserknubbeligenvulkanischenHügel,sattgrün
von Büschen überzogen. Den Rest des Blickfelds nahm das Meer ein, vorne blass-, hinten tiefblau. Eine
tiefstehende goldgelbe Sonne schickte leuchtende Strahlen durch dieses Gemälde.
Im warmen Shimoda suchte ich abends erst mal die lustige Beschriftung. Es gibt in jedem japanischen
Hotelzimmer ein Schild, das der Hotelmanager selbst getextet hat, ohne es korrigieren zu lassen. Diesmal
klebte das Schild am Haartrockner. »Do not use for the other purpose.« - Das klang so, als gebe es noch
eine ganz bestimmte andere Anwendung für den Föhn, wahrscheinlich eine völlig unaussprechliche Sexu-
alpraktik, die aber doch jedem in Japan so geläufig ist, dass der durchschnittliche Hotelbesucher sofort
weiß, was gemeint ist.
Zu Fuß auf dem Weg in den nächsten Ort zum Essen pflegte ich meine Verdächtigungsfantasien. Das
überkam mich öfter, wenn ich in Japan allein in abgelegenen Hotels wohnte. Der Ausländer würde immer
der Verdächtige sein, wenn in dem Hotel ein Verbrechen geschähe (ein ordentlicher Mensch reist schließ-
lich in der Gruppe oder zumindest zu zweit). Was, wenn jemand am Pool eine Videokamera klaute, aus
einem Zimmer eine Geldbörse verschwände? Was, wenn plötzlich eine Leiche im Aufzug lag, durchsiebt
von Einschusslöchern? Wird die Polizei den Mafiabaron in der Fürstensuite verdächtigen? Nein, sie wird
als Erstes an den Ausländer denken. Da würde ich dann sitzen, und der Kommissar würde fragen: »Wo
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