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scheidensichdagegendrastischvondenWestlern,aberauchuntereinander.DieUnterschiedezwischenden
Nachbarländern in Ostasien wundern mich nicht. Chinesen essen völlig andere Sachen als Japaner - mehr
Wok-Gebratenes, Dampfbrötchen, Teigtäschchen, Scharfes, Knuspriges. Nippon bevorzugt milde Gerichte
wie Misosuppe oder Reisschüsseln mit gesottenem Fleisch obendrauf. Genetische Japaner oder Chinesen,
die länger in den USA leben, lassen sich wiederum nicht von Amerikanern unterscheiden. Europäer essen
Joghurt und können daher Milch besser verdauen. Für viele Chinesen riechen butterige Gerichte dagegen
ekelhaft.
Die Därme vonunsWeißen in Japan werden nach einer gewissen Zeit also japanisch besiedelt. Wir wer-
denzumikrobiellenJapanern,mitAusnahmederMitarbeiterwestlicherFirmen,diesichaufdasLandnicht
einlassen,morgenseinSandwichessen,mittagsinsSteakhausgehenundabendseinePizzabestellen.Diese
Leute wohnen meistens auch in typischen Vierteln, wo es besonders viele Bäckereien und Fleischereien
gibt.
UmgekehrtbedeutendieErkenntnissederBiologen,dassdieJapanerim21.Jahrhundertweiterverwest-
lichen. Jeder Supermarkt bietet Joghurt an. In japanischen Därmen wimmelt es bereits zu Abermilliarden
von westlichen Keimen.
Dementsprechend haben schon nicht mehr die Japaner den gesündesten Stoffwechsel, sondern die Be-
wohnereinerRegioninSüdchina.Ichwette,dassdieLeutedorteinfachnochkeineSteaks,Weißbrot-Sand-
wiches und fettige Zuckerkringel bekommen.
An jeder Ecke locken in Tokio Leuchtreklamen von italienischen Restaurants, Wiener Cafés und fran-
zösischen Bäckereien. Doughnut- und Burgerketten durchziehen das Land. Die Lebenserwartung sinkt in
Japan seit einigen Jahren trotz allen medizinischen Fortschritts.
Ganz klar folgt also: Die japanische Essenz ist in Gefahr. Japaner sehen bekanntlich alles mit allem ver-
bunden - da hängt auch das Essen mit dem Denken zusammen. Nippons mystische Nattô-Gemeinschaft,
die sich schweigend versteht und die Gruppe vor das eigene Wohl stellt - bedroht vom Ansturm der Milch-
säurebakterien!
VonTokioausmachte ichzwaretliche Dienstreisen, hatteaberfastvölligaufgehört,einfachimLandeher-
umzufahren. Kenji und die anderen wollten immer nur Tagesausflüge in Badeorte machen, die ihre kost-
baren zehn Urlaubstage schonten. Spontan ging ich eines Nachmittags in das Reisebüro des Kaufhauses
Tobu in Ikebukuro. Vier identisch gekleidete Damen saßen mit weißen Blusen und hellblauen Schürzen
an Schreibtischen in einem schlauchartigen Raum. Zwischen den Computermonitoren stapelten sich Com-
puterausdrucke, Broschüren und anderes Papier, wie in Japan üblich.
»Ich würde gerne eine Reise in einen Badeort buchen, weiß aber noch nicht, wohin.« Wie alle japanis-
chen Reisebürofrauen begann auch die Dame, die mir nun gegenüber saß, hektisch in Katalogen zu blät-
tern. Sie zeigte mir allerlei Möglichkeiten und fragte irgendwann: »Wie viele Personen sind Sie denn?«
»Ach, ich wollte alleine fahren.«
Sie erstarrte. Ich bemerkte einen Seitenblick von dem Mädchen am nächsten Monitor, das vorher noch
konzentriert getippt hatte. Einige Sekunden Pause.
»Ach, so ist das«, sagte die Reisefachfrau. Das Mädchen daneben begann wieder zu tippen, aber lauter
als vorher.
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