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Ichwaralsoentsetzt, alsichmichplötzlich beidiesem Laufstil beobachtete. Festnahmichmirvor,kün-
ftig wieder auf eine aufrechtere, westliche Haltung beim Rennen zu achten.
Ich ertappe mich in letzter Zeit auch dabei, dass ich fast jeden Satz mit einer Entschuldigung einleitete,
auchAntwortenaufganznormaleFragen.SchließlichkönnteichinJapanimmerirgendwasfalschgemacht
haben. Als ich den Stapel Mülltüten im Hinterhof meines Mietshauses schwelend und rauchend fand, lief
ich nach vorne zum Hausmeister. »Entschuldigen Sie«, rief ich, »verzeihen Sie bitte!« - Erst als er sich
seinerseits verbeugt hatte, rief ich aufgeregt: »Es brennt!«
DerHausmeistersprangaufundlöschtemitseinemWasserschlauch.IneinerderMülltütenfandsichder
Inhalt eines Aschenbechers. »Ich rauche nicht«, beteuerte ich überflüssigerweise. Tomiyama-san guckte
mitzusammengekniffenenAugenkurzaufdenrestlichenMüll.»DashiergehörtzuNummer603«,erklärte
er dann. In Deutschland hätte ich ihm geraten, im Fernsehen aufzutreten. »Wetten, dass ich dreißig Miet-
parteien an ihrem Müll erkenne?«
Sich zu entschuldigen ist in Japan immer eine gute Strategie und hat nur Vorteile. Im Westen liegt das
anders. Wer sich nach einem Verkehrsunfall entschuldigt, gesteht praktisch seine Schuld ein. Also wird
der Schuldige das Unfallopfer erst einmal anraunzen: »Konnten Sie nicht aufpassen, Sie Trottel?« Das ist
in Deutschland die Strategie mit dem größten Nutzen für den Autofahrer. In der japanischen Gesellschaft
bringt dagegen die Entschuldigung den größeren Vorteil. Also entschuldige ich mich, wo immer es geht.
Ich nahm mir neulich vor, es nicht zu übertreiben - schließlich habe ich in den Augen der Einheimischen
ein grober, roher Ausländer zu sein.
Auch meine Koffer schrumpfen zusehends auf japanisches Format. Von Anfang an war mir aufgefallen,
dass Japaner kaum Gepäck schleppen. Es sind immer nur westliche Touristen, die mit gewaltigen Koffern
den Weg in Zügen und U-Bahnen blockieren. Doch ich habe das Geheimnis gelüftet: Japaner nehmen den
Gepäckversand in Anspruch. Es gibt ein halbes Dutzend konkurrierender Firmen, die einen Koffer heute
abholen und morgen früh im Hotel oder bei der Schwiegermutter über die Schwelle reichen. Das kostet
etwa zehn Euro für einen Koffer. Wer ohnehin 250 Euro für die einfache Fahrt im Zug zahlt, für den fühlt
sich das wie ein normaler Teil der Reisekosten an.
Doch meine Japanisierung dringt immer weiter vor und kriecht in immer feinere Ritzen. Ich führe Selb-
stgespräche auf Japanisch. Am Telefon verbeuge ich mich immer öfter. Wenn ich mich erkälte, trage ich
eine Atemmaske. Ich reinige meine Ohren mit einem Schabelöffelchen!
Ein Wissenschaftler hat mich zudem davon überzeugt, dass auch meine Gedärme längst japanisiert seien.
Von den Bazillen her sei ich Nipponese.
Der Biologe Rowan Hooper arbeitet in Japan und behauptet, dass der Wohnort uns tiefgreifend beein-
flusse, wegen der Bakterien. In allen Weltgegenden essen die Leute vergorene Sachen mit lebenden Kei-
men, wie etwa Joghurt.ImNattô sinddie Sojabohnen vonFäulnisbakterien ausReisstroh vergoren.Solche
Kleinstlebewesen besiedeln nun nach und nach das Innenleben des Japanbewohners.
Forscher haben die Stoffwechselprodukte von Briten, Amerikanern, Chinesen und Japanern verglichen.
Was unten rauskam, hing fast nur davon ab, welche Mikroben dieses Essen im Darm zerlegt hatten. Sch-
ließlich leben in uns zehnmal mehr Bakterien, als wir Körperzellen haben. Die chemische Zusammenset-
zungdesStuhlsunterschiedsicherheblich-unddamitauchdas,wasunsereKörperanSubstanzenausdem
Darmaufgenommenhatten.BritenundAmerikanerstoffwechselnfastgleich.ChinesenundJapanerunter-
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