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DennMülltonnengibtesnicht.InTokioschlängelnsichdieStraßenzuengfürsomassiveGegenstände.
DieAnwohnerundHausmeisterstellendenMüllingenormtenPlastiksäckenandieStraße,bevordieMül-
labfuhr kommt. Das Gesetz schreibt transparente Müllsäcke vor - die Müllmänner können so den Inhalt
besserkontrollieren.BrennbarerMüllgehtananderenTagenwegalsnichtbrennbarerMüll,Papier,Dosen,
Glas oder Plastikflaschen.
Wie immer in Japan regiert in diesem System das geordnete Chaos. Der Verschluss einer Plastikflasche
kann auf zwei Straßenseiten in zwei verschiedene Kategorien fallen, wenn sie zu zwei verschiedenen
Stadtvierteln gehören. Für die einen ist Plastik brennbar, für andere nicht. Manchmal ändern sich die Re-
geln auch, wenn etwa eine künstlich aufgeschüttete Insel in der Bucht von Tokio fertig ist und dafür eine
neue Müllverbrennungsanlage in Betrieb geht. Plötzlich gilt Plastik als brennbar.
Ich saß staunend vor dem Fernseher und sah eine Sendung mit Tipps für Hausfrauen: Wie bekommen
wir die alten Zeitungen so ordentlich gestapelt wie Frau Tanaka aus dem Einspielfilm?
Tipp 1: die Schere. Die Musterhausfrau nimmt jeweils etwa zwölf Seiten der Zeitung, faltet sie überein-
ander und schneidet sie am Falz von jeder Seite einige Zentimeter ein. Damit liegen die Faltkanten glatter,
es ergibt sich beim Stapeln ein ordentlicheres Bild.
Tipp 2: das Bügeleisen. Die wirklich gute Hausfrau bügelt die flach gelegten Zeitungsrechtecke platt.
Dann legt sie schön die Faltkanten abwechselnd links und rechts übereinander und zählt die Lagen. Nur
wenn die Stapel immer gleich hoch ausfallen, ergibt sich am Müllsammelplatz ein ordentliches Bild!
Tipp 3: der Knoten. Nur wer den richtigen Trick kennt, kann die Stapel rutschsicher und leicht tragbar
zusammenbinden. Es ergeben sich kompakte Blöcke von Zeitungspapier, in Draufsicht etwa so groß wie
ein A4-Blatt. Schade nur, dass diese ebenmäßigen Kunstwerke alle in der Recyclinganlage geschreddert
werden.
Ein besonderes Objekt für den Eifer der Dame im Stockwerk unter mir ist die Milchpackung. Die brave
Hausfrau schneidet sie an den Ecken auf, spült sie innen mit Spülmittel aus, hängt sie auf der Wäscheleine
zum Trocken auf und stapelt sie zu Quadern. Die fertigen, piekfeinen Pakete - sauber und geruchlos - gibt
sie dann bei der Recyclingstelle des Ortsamts ab.
Mit den aufgehängten Milchpackungen, wie sie da stolz im Wind auf dem Balkon schaukeln, zeigt die
Hausfrau ihre Sorgfalt. Ich schreibe Hausfrau, weil es ausschließlich um Frauen geht. Außer mir.
Als guter Ausländer und vor allem als guter Deutscher wollte ich beim Mülltrennen nicht hinter den
Nachbarn zurückstehen. »Was? Du wäschst und trocknest Tetrapaks?«, fragte Akiko mich verblüfft. Auf
der Wäscheleine meines Balkons hingen vier Saftpackungen an Wäscheklammern.
Doch die Preußen Ostasiens? An der Oberfläche sieht die Ordnungsliebe tatsächlich preußisch aus. Als
Deutschen treibt mich jedoch die Grundneigung zu sinnloser Anstrengung manchmal in den Wahnsinn.
Wirklich, manchmal möchte ich schreien, wenn ich das sehe. »Die Japaner bei uns halten sich sklavisch an
die Regeln und die eingefahrenen Prozesse«, sagte mir ein deutscher Manager, dessen Unternehmen eine
japanische Mittelstandsfirma gekauft hatte. »Ich würde mir da manchmal mehr gesunden Menschenver-
stand wünschen.«
Aber wir Ausländer müssen mitmachen, ob wir wollen oder nicht. Die Japaner sind lieb und nett, wenn
einer als Tourist kommt und die Stäbchen nicht richtig halten kann. Doch wenn einer wirklich mitspielen
will, lassen sie ihn ganz schön spüren, was das heißt. Als loyaler Freund, guter Nachbar, verlässlicher
Geschäftspartner oder treuer Angestellter gilt nur, wer sich reichlich ins Zeug legt - unabhängig vom Res-
ultat.
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