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Dass Japaner immer das große Ganze sehen, verwirrt westliche Geschäftsleute bei Verhandlungen. Denn
ausjapanischerSichthängtauchdasmiteinanderzusammen,wasinDeutschlandnichtsmiteinanderzutun
hat.
Miguel erzählte mir, was den japanischen Kunden seiner Firma wichtig war. Beispielsweise, dass
Schrauben, die an einer völlig versteckten Stelle saßen, immer die gleiche Farbe haben. Aus Prinzip. Nur
so, glauben sie, lässt sich gute Qualität aufrechterhalten. Der Erfolg gibt ihnen Recht.
Auch normale Verbraucher legen in Japan Wert auf Details, die mit der Funktion nichts zu tun haben.
Panasonic verpackt Batterien immer so, dass die Seite mit dem Firmenlogo in der Packung nach vorne
zeigt. Im Supermarkt wirken die Packungen dann besonders adrett.
Während Japaner all das irgendwie einbeziehen, wundern sie sich über die deutsche Eingleisigkeit und
Fixierung auf die reine Funktion. Deutsche sehen immer nur einen Aspekt auf einmal und können nur eine
Aufgabe gleichzeitig erledigen, behaupten sie. Japanischen Chefs von Tochtergesellschaften in Deutsch-
land fällt auf, dass ihre einheimischen Mitarbeiter sich immer nur auf eine Sache konzentrieren wollen.
»WennsiemitdererstenAufgabenochnichtfertigsind,dannnehmensiekeineneuean.JapanischeAnges-
tellte lehnen dagegen nie etwas ab und machen alles gleichzeitig. Leider werden sie dann manchmal ewig
mit keiner ihrer Aufgaben fertig«, erzählte mir ein japanischer Deutschland-Veteran.
Die Deutschen wundert eben gerade diese Fähigkeit der Japaner, mehrere Sachen gleichzeitig zu erledi-
gen. Das Befremden fängt schon bei der Powerpoint-Präsentation der Produkte an. Denn weil aus japan-
ischer Sicht alles miteinander verknüpft ist, versucht der Vortragende, alle Details auf eine einzige Folie
zu quetschen. Da bleibt dann nur Schriftgröße acht. Was sie dann an die Wand werfen, sieht aus wie eine
SeiteauseinemaktionsgeladenenManga.ÜberallPfeile,BildchenundSprechblasen.Deutschefühlensich
davon überfordert.
Bei den Verkaufsverhandlungen setzen sich die Missverständnisse fort. Der Vertreter der deutschen
Seite, von Haus aus Ingenieur, denkt vielleicht, es gehe in einem Gespräch um den Übergangswiderstand
der Erdungsmittelklemmen. Weit gefehlt. In Wirklichkeit bezieht sein Gesprächspartner, der japanische
Manager, im Geiste alle möglichen anderen Sachen ein: dass der Chef des Deutschen vor vier Jahren mal
zu spät zu einem Meeting gekommen war und kein Gastgeschenk mitgebracht hatte, die geschmacklose
KrawattedesAssistenten,derdiesmalmitgekommenist,andererseitsaberauchdieTatsache,dassderChef
des deutschen Unternehmens eine hübsche Tochter hat. Er sagt dann vielleicht: »Wirklich, Ihre Technik
entspricht genau unseren Anforderungen« - und der deutsche Ingenieur freut sich, weil er die Bestellung
sicher wähnt, doch der Japaner meint im Geiste: »… aber bestellen werde ich bei euch bestimmt nichts.
Das lassen wir euch allerdings erst nach und nach wissen, indem wir die konkrete Erteilung des Auftrags
bis zum Gehtnichtmehr hinauszögern.« Eines würde er jedoch niemals sagen: »Nein.«
Die Fähigkeit, alles auf einmal zu sehen, ermöglicht auch den guten Service. Japanische Verkäufer sehen
nicht nur ihren eigenen Standpunkt, sondern sie versetzen sich laufend in den Kunden hinein. In Deutsch-
land fangen viele Sätze des Servicepersonals mit »Ich …« an, und dann kommt so was wie: »… bin dafür
nicht zuständig« oder »… habe gleich Feierabend«.
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