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Oberschulewaren,hatteeinMitschülerimmerwaszumRauchen.UndinmeinerZeitalsSkaterinShibuya
waren Drogen immer leicht zu kriegen.«
Mein Gewährsmann hatte so etwa mit 18 Jahren eine Phase, in der er mit seinem Skateboard in Shibuya
herumhing, Mädchen nachstellte und die Nächte in Technoclubs verbrachte. Diese Japaner sind nicht nur
mit dem Kiffen vertraut, sondern auch mit allen anderen weichen Drogen.
Doch das wahnsinnige Prestige der guten Unis machte die rauchenden Studenten zum Medienthema.
Wenn ein Unterklassekind mal kiffte, ging das noch. Aber ein Waseda-Student hat ein Elite-Ticket in der
Tasche. Diese Uni ist für normale Eltern fast nicht bezahlbar. Da erwartete die Gesellschaft angepasstes
Verhalten. Wer mit dem Dünkel des Waseda-Absolventen rumlaufen wollte, musste anderswo verzichten.
Das hatten auch zwei russische Sumo-Kämpfer nicht kapiert. Sie schieden aus ihrem Stall aus, nachdem
die Polizei ihnen Cannabiskonsum nachweisen konnte. Vor den Kameras der Journalisten traten die beiden
soreuigauf,alshättensiejahrelangminderjährigeMädchenzumCrack-Rauchengezwungen.Dabeigaben
sie nur an, auf Heimaturlaub in Russland mit Freunden Gras aus einer kleinen Pfeife geraucht zu haben.
Als Mitteleuropäer bin ich immer etwas hin und her gerissen. Einerseits erscheinen mir die strengen
Strafen spießig und übertrieben. Eine liberale Cannabispolitik gehört für uns irgendwie zur freiheitlichen
Grundhaltung. DochdieSicherheit inJapanwissenalle zuschätzen, dieeshierherverschlägt. AuchFrauen
könnensichnachts allein umeiniges ungefährdeter durchdunkleUnterführungen trauen alsbeispielsweise
in europäischen Ländern. Die Gier nach dem nächsten Schuss löst eben doch einen guten Teil der Krimin-
alität im Westen aus.
Japaner zeigen sich ihrerseits etwas naiv, wenn sie von ihren schönen Inseln aus woandershin fliegen.
Als ich einen japanischen Geschäftsmann in meinem Alter beim Umsteigen durch den Frankfurter Haupt-
bahnhof lotste, fragte der mit dem Seitenblick auf eine der Gestalten am Boden: »Der Mann da, das ist
sicher ein Diabetiker, der sich Insulin spritzt?«
Die Weltmetropole Tokio zeigt sich auch im Kleinen obrigkeitstreu. Akiko und ich liefen abends nach
einem Kunstereignis in Richtung des Bahnhofs Shinagawa, als vor uns eine völlig vereinsamte
Fußgängerampel auf Rot schaltete. Wir blieben stehen und warteten sehr, sehr lange auf Grün, während
kein Auto zu sehen war, geschweige denn ein Polizist. Akiko machte keine Anstalten, einfach rüberzuge-
hen. Neben uns warteten ebenso gefügig noch zwei angetrunkene Büroangestellte. Die Bewohner Tokios
gehen nur selten bei Rot über die Ampel. Tsuyoshi hatte von einem Bewerbungsgespräch erzählt, bei dem
eine Frage lautete: »Gehst du bei Rot über die Kreuzung?« Er hatte wahrheitsgemäß geantwortet: »Ja,
manchmal«, und war nicht genommen worden. »Das lag todsicher an dieser Psycho-Frage. Die haben
gedacht, wer bei Rot über die Ampel geht, erschlägt auch während der Überstunden den Prokuristen.«
Der G8-Gipfel der Regierungschefs reicher Länder tagte 2008 in Hokkaido. Ich recherchierte vorher zur
japanischen Prostestbewegung - und fand keine.
Als Journalist hatte ich auf Krawalle wie zuvor in Genua oder Rostock gehofft und wurde enttäuscht.
Eine Demo, die ich mir vor dem Gipfel in Sapporo ansah, wirkte eher skurril und liebenswürdig denn
gefährlich. Da marschierten einige Leute von der Gewerkschaft mit, zwei Vertreter der Ureinwohner, ein
Kommunist, drei betrunkene Punks und ein junger Mann vom schwul-lesbischen Studentenclub, der sich
während der Demo immer ein DIN-A4-Blatt mit seinen Forderungen vors Gesicht hielt, um nicht erkannt
zu werden.
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