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Gäste!«, rief der Chef des Ladens. Zu meinem Erstaunen ließen sie sofort voneinander ab. Der eine drehte
sich zu unserem Tisch um und verbeugte sich. »Bitte verzeihen Sie die Belästigung!«
Auch sonst wirkt Japan insgesamt ziemlich harmlos. (Das gilt jedenfalls, solange einer sich nicht mit der
Mafia anlegt.) Nach fünfzehn Jahren der Beschäftigung mit der japanischen Sprache hielt ich die Zeit für
gekommen, auch mal ein paar schmutzige Schimpfwörter zu lernen. Ich fragte Tsuyoshi nach Flüchen, so
richtig von der Straße.
»Chô-Beriba«,sagteerunderklärtemirdasZustandekommen.»Beriba«stehtfür»verybad«,und»chô«
ist eine japanische Vorsilbe für »extrem«.
»Tsuyoshi, ihr müsst doch auch etwas richtig Schmutziges haben.«
Er überlegte. »Ich hab's, aber du musst versprechen, es nicht zu benutzen. Als Ausländer kannst du die
Wirkung nicht einschätzen.«
»Sag's einfach.«
»Kimoi.«
»Ist das alles? Das heißt doch einfach nur: fühlt sich schlecht an.«
»Du kennst das?«
»Bitte, es muss doch irgendein wirklich … unanständiges Wort geben auf Japanisch.«
Tsuyoshi schlug noch vor: »urusai« und »shitsukoi«, die beide auf Deutsch heißen »du nervst«. Dann
rückte er noch heraus mit »shineba ii«, was bedeutet: »Stirb doch«. Das ist zwar knallhart, aber auch nicht
fäkal oder sexuell, wie wir die Schimpfworte im Westen lieben.
Ich gab auf. Die Japaner kennen einfach noch nicht mal zünftige Schimpfworte vor lauter Harmon-
iesucht.
Die Sicherheit, die das Land bietet, hat allerdings eine Kehrseite: Japans knallharte Justiz. Im Kleinen
wehrt der Staat durch vergleichsweise harte Strafen den Anfängen. Im Großen schafft er durch eine hohe
Zahl von Verurteilungen die Illusion, dass alle Missetaten früher oder später herauskommen.
Zwar urteilt die Justiz grundsätzlich unabhängig. Doch die eine oder andere Nachricht irritiert mich
ziemlich. Da ist beispielsweise der Richter, der Reue über ein Todesurteil zeigt, das er seit dreißig Jahren
für falsch hält. Der Verurteilte sitzt allerdings immer noch in der Todeszelle. Ein Tokioter Justiz-Kenner
sagte mir, Japans Richter fühlen sich nicht als Gegengewicht, sondern als Teil des Systems und stützen
nach Möglichkeit den Staat. Klagen vordem Obersten Gericht gegen Gesetze seien meist aussichtslos. Die
Richter fällen so gut wie nie Urteile, die die bestehende Ordnung in Frage stellen.
Die Aufklärungsquote von Kriminalfällen liegt in Japan deutlich über 90 Prozent. In Deutschland liegt
die Gesamtaufklärungsquote laut Bundeskriminalamt bei 55 Prozent. Entweder sind also Japans Polizei
und Gerichte um ein Vielfaches erfolgreicher als die deutschen oder in Japan sitzen mehr Unschuldige im
Knast. Meiner Meinung nach stimmt von beidem etwas.
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