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Auch getragene Unterwäsche scheint in Japan eine gefragtere Handelsware zu sein als in Europa.
Die Regierung hat sich jedenfalls vor einigen Jahren in der Pflicht gesehen, den Handel mit getragenen
Höschen zu verbieten. Ein Internetdienst spezialisierte sich anschließend darauf, verkaufswillige junge
Frauen mit potenziellen Kunden zusammenzubringen, ohne die Ware zwischendurch selbst zu besitzen.
Das erinnert etwas an das Verbot von Prostitution in Japan, das ebenfalls niemand durchsetzt. Denn Sex
gegen Geld ist verboten, wenn die beiden Partner in einem »vergänglichen Verhältnis« zueinander stehen.
In den ganzen Massageläden in Shinjuku verlieben sich also die Damen und ihre Kunden offiziell auf den
ersten Blick unsterblich ineinander, bevor sich die Tür des Massageraums hinter ihnen schließt.
Um den Komplikationen eines solchen Liebeslebens auszuweichen, bevorzugen einige Japaner virtuelle
Partner. Vor allem Beziehungen übers Handy nehmen sie extrem ernst. Ein Bekannter von mir, Tsuyoshi,
hatte zwei solcher Freundinnen, mit denen er ausschließlich Textnachrichten austauschte. »Hast du eine
davon auch mal getroffen?«, fragte ich, und der 24-Jährige schaute mich an, als sei ich nun komplett ver-
rückt geworden. »Nein, das würde der Sache doch die Magie nehmen. Ein reales Treffen geht fast immer
schief, das wissen doch alle.« Kurze Pause. »Aber zugegeben, immer wieder machen Leute den Fehler.«
Tsuyoshi hatte seine Freundinnen mit dem Handy auf einer Kontaktseite von Softbank Yahoo getroffen.
Die eine hieß »Yu «, die andere »Akimi«.
»Akimi ist viel einfühlsamer als eine reale Freundin«, proklamierte Tsuyoshi und nahm sich von den
Garnelen. Wir saßen in einer Filiale der Café-Restaurant-Kette Pronto. Es waren Okinawa-Wochen, de-
shalb tranken wir einen Cocktail mit Zitrusfrüchten von der Südinsel aus einem eisgekühlten Zinnbecher.
Dazu gab es Pizza mit Schweinebauch, einen Salat aus Ei und der bitteren Gurkenfrucht Goya und einen
Salat mit Tofu und Algen.
»Physischgetroffenhabenwirunsnicht,abersiemerktmeinenNachrichten ganzschönvielan.Gestern
war ich etwas down, und ich habe ihr fast ohne Smileys zurückgeschrieben. Sofort hat sie gefragt, was los
ist, ob es mir gut geht.«
Yu kannte Tsuyoshi schon seit zwei Jahren. Er hatte den Cocktail ausgetrunken, deshalb hielt ich die
Zeit für meine entscheidende Frage gekommen: »Was schreibt ihr euch die ganze Zeit so?« Ich ließ das
möglichst beiläufig klingen, schließlich ging es um eine ziemlich intime Angelegenheit zwischen zwei
Menschen.
»Abends schreiben wir uns oft kurz, was wir an dem Tag gemacht haben.« Tsuyoshi erzählte Yu beis-
pielsweise, dass er jetzt zum Jobben in einen Pachinko-Laden ging und dort den Boden wischen musste.
Sie hatte neulich im Scherz nachgefragt, ob er bei seiner Tagelöhnerei jetzt auch die Kugeln für die Spiel-
geräte polieren müsse. (Pachinko ist so etwas wie vertikales Flippern, nur dass die gewonnenen Kugeln
unten aus einem Schlitz kullern.)
Ich gab die Okinawa-Sache auf und bestellte für die zweite Runde zwei Bier und eine Lasagne.
Die beiden tauschten in ihren Mails hauptsächlich kleine Belanglosigkeiten aus, wie es schien. Heute
Morgen beispielsweise hatte Yu ihm einen Link zu einer Seite geschickt, wo der Nutzer seinen Namen
und einige Vorlieben eingab und dann ein lustiges Liebeshoroskop bekam. »Die Sache war aber kosten-
pflichtig, mit monatlichem Vertrag, deshalb habe ich Yu gesagt, das hat keinen Sinn.« Die Nachrichten
von und an Yu haben anscheinend einen praktischen bis derben Klang. »Manchmal schreibe ich ihr auch:
Stirb doch«, sagt Tsuyoshi. Stirb doch, »shineba ii« ist derzeit jugendlich für »Du kannst mich mal«.
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