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Und Akimi?
Mit Akimi hatte Tsuyoshizartere Beziehungen. Anscheinend warderMailverkehr mit ihrvonein wenig
Poesie durchweht. Erotische Nachrichten schrieben die beiden sich jedoch offensichtlich nicht.
Was, wenn Akimi in Wirklichkeit Bewohnerin eines Altenheims wäre? »Das würde keiner so hinkrie-
gen«, sagte Tsuyoshi und war sich komplett sicher. Vermutlich hatte er recht. Die Codes und der Ton
der Jugendsprache wechseln praktisch monatlich und lassen sich nicht einfach lernen oder irgendwo
nachschauen. Mein Wissen steht noch bei Jugendkürzeln wie »KY«, Abkürzung für Kûki Yomenai, das
bedeutete »Kapiert nix«. Doch diese Worte klingen vermutlich so überholt wie »allererste Sahne« auf
Deutsch.
Die Lasagne kam, ich schaufelte Tsuyoshi einen Teil davon auf sein Tellerchen.
Wusste er, wo die beiden wohnen?
Yu wohnte in Tokio, Tsuyoshi könnte also bereits mit ihr im gleichen S-Bahn-Wagen gesessen haben.
Von Akimi wusste er tatsächlich ziemlich wenig. Ihre Seelen waren offenbar auch ohne Meldungen aus
dem prosaischen Alltag miteinander verbunden.
Tsuyoshi war bei weitem nicht der einzige Japaner mit virtuellen Freunden und zudem ein ziemlich harm-
losesBeispiel.SehrseltsamfandichauchdieWeltderOtakusmitihrenBeziehungenzuComic-undCom-
puterwesen. »Otaku« heißt »Stubenhocker«. In Japan haben die Computerfreaks eine eigene Kultur mit
einer eigenen Warenwirtschaft geschaffen.
Im Elektronikviertel Akihabara stolperte ich in eines der Spezialgeschäfte für diese Kunden. Die fünf
Etagen waren nur durch eine enge Treppe und einen winzigen Aufzug miteinander verbunden. Dort gab es
ausschließlich Romantikspiele für Computer und Spielkonsolen. Der Spieler muss darin nach und nach an
ein Mädchen herankommen. In den harmloseren Ausführungen zeigen Zwischensequenzen zunächst noch
lange, wie das virtuelle Mädchen mit der Spielfigur Händchen hält. In den derberen Varianten ist schon
früh allerlei Haut zu sehen.
Wer nur die Poster in dem engen Treppenhaus der Fachgeschäfte sieht, könnte denken, er sei im Porno-
laden gelandet. Der Unterschied ist bloß: Echte Pornografen dürfen in Japan niemals so viel zeigen wie
Computerspiele. In den Fantasiewelten ist auch Vergewaltigung möglich. Der japanische Staat sieht weg,
denn im realen Leben sind Vergewaltigungen in Japan immer noch viel seltener als in anderen Ländern.
In anderen solcher Spiele müssen die Spieler bloß eine romantische Beziehung zu einem Mädchen auf-
bauen. Ein 25-Jähriger nahm die Sache ein wenig zu ernst: Er lud seine Verwandten zu einer Hochzeit-
szeremonie ein, in der er so eine Spielfigur heiratete. Sie stand auf einem mannshohen Flachbildschirm
neben ihm vor dem Priester.
Ein anderer Otaku übertraf das noch. Taichi Takashita leierte eine Petition gegenüber der japanischen
Regierung an, in der er forderte, Eheschließungen mit Comicfiguren vor dem Gesetz zu erlauben. »Es
bedeutet Diskriminierung einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Japanern, die Partnerwahl auf biolo-
gischeOrganismenzubeschränken«,sagteer.Erblicktedabeisoanklagend,alsverletzederStaatwirklich
ein Menschenrecht. Takashita forderte konkret, Mikuru Asahina heiraten zu dürfen, eine Figur aus ein-
er Comic-Reihe, die sich um das aufregende Leben von Oberschulmädchen dreht. Er hatte im Viertel der
StubenhockermühelosmehreretausendUnterschriftenfüreinePetitiongesammelt,wargrößenwahnsinnig
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