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Und hier locken, klar, noch zahllose andere Vergnügungen. Wir gingen auch manchmal zum Sumo, was
mehr einem Picknick ähnelt als einem Besuch im Stadion.
Sachiko liebte Sumo. Sie war Fan eines mongolischen Champions. Zu Hause schon brütete sie über den
winzigen Schriftzeichen des Turnierplans. Um fünf Uhr morgens stellte sie sich an, um gute Karten für die
große Halle zu bekommen. Manchmal rief sie mich an und fragte, ob ich Zeit habe mitzukommen. Ganz
genau weiß ich nicht, wer da wem einen Gefallen tat. Sie wollte schließlich nicht alleine hingehen, und
wie Baseball hat Sumo ziemliche Längen. Wir verbrachten denn auch jedes Mal praktisch den kompletten
Sonntag auf Tatamimatten in der »Nationalen Kunstfertigkeitshalle«, dem Tokioter Stadion nur für Sumo.
Sachiko als echter Fan mietete hier einige Quadratmeter Fläche. Wir mussten die Beine zusammenfalten,
um draufzupassen.
Ichbehauptete,FanvonWeißerRiesenvogelzusein,waseinebilligeWahlwar,denndieserRingerhatte
gerade eine Erfolgssträhne. Das klang in etwa so, als käme einer nach Deutschland und wähle sich Bayern
München als Fußballverein. Weißer Riesenvogel war ein ausländischer Kämpfer, ein Mongole. Dass die
Sumo-OrganisationüberhauptAusländerzuließ,warzehnJahrezuvor-alsichinFukuiwar-nochneuund
unerhört. Die Erfolge der nichtjapanischen Ringer bleiben ein ständiges Gesprächsthema, vor allem wenn
sich im Endspiel zwei ausländische Kraftmenschen gegenüberstehen. Aus Sicht konservativer Japaner ist
daseinneuerHöhepunktderDreistigkeitvonAusländern:ErstbesiegensieunsimKrieg,dannbringensie
ihre Hamburger und Fritten und jetzt nehmen sie uns auch noch unser Sumo weg.
Zwischen zehn und zwölf trudelten Yusuke und Akiko ein. Sachiko saß schon seit acht Uhr einsam auf
den Tatami und fieberte bei den Vorkämpfen mit. »Wer da nicht auf die jungen Talente achtet, kennt sich
später mit den Kämpfern nicht aus.«
Ein beflissener Knabe im Yukata brachte gegen Mittag die Essenspackungen und Bier. Auf den Esskäst-
chen waren Sumo-Kämpfer abgebildet, drinnen fanden sich Leckereien aus der Heimatregion des Kraft-
menschen. Yusuke bekam eine Packung mit Krebsfleisch aus Hokkaido, weil seine Packung einem Kämp-
fer aus dieser Region gewidmet war. Ich nahm den Bulgaren Kotoôshu, »Wölbbrettzither Europas«. Außer
Schweinefleisch in Bratensoße, Fleischbällchen und Joghurt fand ich Maultäschchen, die bulgarisch sein
sollten. In Akikos Box lagen kleine Frühlingsrollen. Ihr Favorit kam aus der Mongolei.
SachikoerklärteunsnocheinmaldieGrundregelndesSports.»DieKämpferversuchen,einanderaufden
BodenzuschmeißenoderausdemSandkreiszuschieben.«Verlorenhat,wermiteinemanderenKörperteil
alsdenFußsohlendenBodenberührt.DerRingrichterinseinemfarbigenKimonomachtZeichenmiteiner
Art Fächer zu Start und Ende des Kampfes.
Wir hockten also eng zusammen auf unseren drei Quadratmetern und brachten irgendwie unsere Beine
unter unseren Körpern unter. Selbst Japaner müssen sich zwischendurch mal ausstrecken oder umorgan-
isieren, wenn sie stundenlang auf dem Boden sitzen sollen. Manchmal kam es mir vor wie bei Loriot:
Entschuldigung, dürfte ich mal … mit meinem Fuß? Danke. Oh, ist das dein Bein?
Ich trug die falschen Schuhe: welche mit Schnürsenkeln. Ein Fehler, und dazu noch komplett unjapan-
isch. Die Einheimischen treten ihre Sneaker und sogar richtige Lederschuhe hinten runter und schnüren sie
vorne nur ganz lose. Sie basteln sich damit Pantoffeln mit Adidas-Streifen oder Bally-Logo.
Bevor ich also im Gang zwischen den Tatamiflächen auch nur einen Senkel losgefummelt hatte, waren
sämtliche anwesenden Japaner bereits auf ihre Plätze geglitten und lächelten milde dem Ausländer zu, der
irgendwieaufeinemBeintanzendseinenerstenSchuhunterdenSitzbereichschiebenwollte,daaberschon
alles vollgestopft vorfand, so dass am Schluss nur der Schuh des Ausländers (also meiner) halb vorstand.
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