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JedesMal,wenndieKellnerdesTeehausesinihrenYukatamitBieroderEsskästchen vorbeieilten, wichen
sie meiner Schuhspitze nur knapp stolpernd aus und verbeugten sich vorwurfsvoll.
Sachiko erzählte vom Alltag der Kraftmenschen, japanisch »Rikishi«, in den Sumo-Häusern. Sie train-
ieren nur morgens. Die Nachwuchsringer bereiten mittags für alle einen Eintopf mit viel fettem Fleisch
vor. Oft trinken die Rikishi dazu noch einige Flaschen Bier, um schneller dick zu werden. Alle machen
einen langen Mittagsschlaf, der ebenfalls helfen soll, Gewicht aufzubauen. Neulich musste ein Trainer für
sieben Jahre ins Gefängnis. Der Verurteilte beteuerte bis zum Schluss, sich nur an Traditionen gehalten zu
haben. Einer seiner Schützlinge war gestorben, weil er ihm eins mit einer Bierflasche über den Kopf gezo-
gen hatte.
Sumo ist ein Sport, der sich am besten in Zeitlupe genießen lässt. Denn jeder Kampf entscheidet sich in
den Zehntelsekunden, in denen ein Kraftmensch den anderen aus dem Ring schiebt oder überwältigt. Da-
vor und danach stehen die Kolosse sich Ewigkeiten gegenüber, werfen rituell mit Salz oder klatschen sich
auf die Schenkel.
Erst erstaunten mich die vielen kleinen Bildschirme in den Händen der Besucher. »Spielen die Leute
Games auf ihren Handys?«, fragte ich Sachiko. Sie wusste es auch nicht, also schlich ich mich beim näch-
sten Ausflug zum Getränkeautomaten von hinten an ein junges Paar an. Tatsächlich hielten sie sich ihre
Handys vor das Gesicht, doch als ich das Programm auf dem Display erkennen konnte, machte ich Laute
des Erstaunens. Darauf lief die Liveübertragung des Turniers hier aus der Halle. Diese Zuschauer em-
pfingen das digitale Fernsehsignal. Über ihren Ohrstöpsel konnten sie den Profikommentar hören und die
WürfeinZeitlupesehen.DieFernsehübertragungliefleichtzeitversetzt.Bildeteichesmirein,oderjubelte
ein Teil der Zuschauer eine halbe Sekunde später als der Rest?
Es ist kaum zu glauben, aber selbst aus ihren Erdbeben machen die Japaner ein Erlebnis. Ich versuchte,
meine Überlebenschancen zu verbessern, und meldete mich für einen Erdbebenkurs der Feuerwehr an. Es
wurde eine Spaßveranstaltung.
Erst zeigten die Feuerwehrleute in einem Kino einen dramatischen 3-D-Film. Das große Beben von
Tokio in Farbe und stereo - wie die Leute bei der Arbeit, im Aufzug, in der Vorstadt, in der Schule von den
Stößen überrascht werden. Als Dachziegel von oben auf die fliehende Oma zuflogen und direkt vor ihren
Füßen zersprangen, duckte sich die junge Angestellte neben mir erschreckt in ihren Sitz. (Ich mich auch.)
Außer mir war eine Gruppe von Berufsanfängern dort, die ihre Firma hergeschickt hatte. Ein Stockwerk
höher führten uns die Feuerwehrleute in einen komplett wasserfest ausgekleideten Raum. Auf einem Bild-
schirm vonderGrößeeiner Kinoleinwand flackerten Brände auf.Bei derÜbungzumFeuerlöschen musste
ich mich kräftig gegen die Spritze stemmen, aus der ich mit echtem Wasser das virtuelle Feuer löschte.
Ich übte im Team mit einem der Anzugjungs, der auf meine Zurufe das Ventil bediente. Nächste Übung:
Flucht aus dem brennenden Gebäude. Die Feuerwehr hatte einen Irrgarten von Zimmern gebaut, den sie
mit Diskorauch vollpumpen konnte.
Dann der Höhepunkt auf den alle gewartet hatten: der Erdbebensimulator. Auf einer beweglichen Platte
standeinenachgebauteKüche.ZuviertsaßenwirTeilnehmeramTisch,alsdieErschütterungenlosgingen.
DurchdasnachgemachteFensterwurdenAngstschreieunddasGeräuschvonberstendemGlaseingespielt.
Jetzt mussten wir abspulen, was wir vorher geübt hatten: Gas aus, Tür auf und sichern, Kissen auf den
Kopf,unterdemTischinDeckunggehen,bisdieSchwankungenvorbeiwaren.WirwildfremdenvierLeute
rückten unter dem Tisch eng zusammen, als die Maschine dann in den höheren Gang schaltete und die
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