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Wir waren erst mal eingeschüchtert. Draußen war noch lautes, helles Tokio gewesen, drinnen waberte
Dampf durchs Dunkel. Schwarze Kerkerwände umschlossen eng den Gast, sobald er aus dem Aufzug trat.
Nachdem die Türen sich geschlossen hatten, fühlte der Ort sich an wie tief unter der Erde. »Das ist echt
unheimlich«, sagte Kenji. Aus der Deko drangen Schreie. »Bitte warten Sie auf Ihren Wärter«, sagte ein
JungeimStudentenaltermitClipboardamEingang.ErtruglängsgestreifteSträflingskleidung.DieWände
waren als Steinwände wie im Chateau d'If des Grafen von Monte Christo aufgemacht. »Wir haben reser-
viert«, sagte ich. »Ja, Sie sind Häftling Mayer, ich weiß«, entgegnet der Junge geheimnisvoll.
Wir warteten, während hinter den Wänden weitere Schmerzensschreie erklangen. Dann schob der Ge-
fangene (oder Wärter?) uns durch eine eisenbeschlagene Tür. Wir fünf gingen im Gänsemarsch rein und
fanden uns in einem Irrgarten wieder. Die Tür hatte innen keine Klinke.
»Die wissen nicht, ob sie jetzt Spukhaus, Gefängnis oder Monsterschau machen wollen«, sagte Miguel.
»Ich bin hungrig, wann gibt es denn etwas zu essen?« Aber zunächst mussten wir wohl oder übel den Weg
finden. Wir öffneten allerlei Türen, fanden dahinter aber nur eine zuckende Gestalt auf dem elektrischen
Stuhl oder blubbernde Kolben mit ungeborenen Aliens. Schließlich stolperten wir durch eine Tür, hinter
der eine Frau in smarter blauer Uniform wartete. »Häftling Mayer?« Sie kettete mein linkes Handgelenk
mit Handschellen an ihr rechtes. »Ich liefere Sie jetzt in Ihre Zelle ein.«
Der eigentliche Häftlingsblock erstreckte sich über das komplette Stockwerk. Es ging um fünf Ecken,
überallwarenniedrigeZelleneingebaut.JedewarmiteinerschwerenGittertürabgesperrt,dahinterlachten
die Gäste. Noch einige Schritte durch einen engen Gang, dann schob das Mädchen ein Gitter beiseite,
klangklangklang. »Hier ist IhreZelle, einrücken, aber marsch, bitte sehr.«Sie beugte sich vorundwies mit
der Hand hinein. Machte sie das absichtlich so, dass ihr superkurzer Latexrock noch höher rutschte?
Wir zogen die Schuhe aus und gingen in unsere Zelle, in der wir am niedrigen Tisch auf dem Teppich
saßen - ganz japanisch. Bei den Uniformierten konnten wir nicht bestellen, die waren nur zum Einweisen
da. Dafür kamen wenig später horizontal gestreifte Kellner zu uns.
Ich hatte schon bei der Reservierung das Menü ausgewählt und vorsichtshalber das preiswerteste Pro-
gramm genommen. Alle tranken Bier, das als all-you-can-drink nichts weiter kostete. Die Wärter brachten
erst Sashimi vom Lachs und einen grünen Salat mit Kartoffelchips darüber. Dann kam ein Hühnersalat mit
Sojasoßengeschmack. Um den Magen zu füllen, stellten die Aufseher einen Topf mit Kimchi, Tofu und
Schweinefleisch auf einen Gaskocher. Dazu brachten sie noch dicke Weizennudeln, Udon, um sie in dem
Eintopf fertigzugaren. Als Dessert gab es Mandeltofu mit Mango.
Zwischendurch ging ein Heidenlärm los. Es wurde dunkel, rote Lichter blinkten. Eine verzerrte Stimme
gab unablässig über Lautsprecher durch: »Achtung, Gefahr! Achtung, Gefahr! Aus unserer genetischen
Versuchsabteilung ist ein Monster ausgebrochen und in den Zellentrakt geflüchtet.« Erste spitze Schreie
erklangen aus den Zellen. Eine Gruppe von Darstellern, zwei Männer und zwei Frauen im Overall, rissen
unser Gitter auf und stürmte auf der Suche nach dem Monster durch unsere Zelle, ließ sich aber Zeit für
einFotomituns.KurznachdemdieMonsterjägerwegwaren,kamauchdasMonsterinunsereZelle,leicht
erkennbar als geschminkter und verkleideter Student. Er grunzte, bedrohte uns, ließ sich mit jedem von
uns fotografieren und musste dann weiter in die nächste Zelle. Nachdem die Einlage vorbei war, ging das
Licht wieder an,unddieStimme verkündete Entwarnung, dasMonsterseigefangen. AusderNachbarzelle
kicherten und lachten noch die Mädchen. »Na ja«, sagte Sachiko, »so was habe ich aber schon gruseliger
gesehen.«
In Tokio herrscht eben harte Konkurrenz der Restaurantkerker.
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