Travel Reference
In-Depth Information
waren die Jahrzehnte anzusehen. Aber Ryokans altern vorteilhaft, weil auf den Zimmern Holz überwiegt
und die Vulkanbäder aus Naturstein gebaut sind.
DieLobbystrahltedenCharmeeinesnordkoreanischenLuxushotelsaus:tieferTeppich,verblicheneFo-
tografien in güldenen Rahmen, schwere Sessel mit Blumenmuster. Welch ein Unterschied zu den ausge-
feilten Designs in Tokio, wo sich die Architekten mit Glas und Metall überbieten. Dagegen wirkte die al-
tertümliche Deko fast schon entspannend.
Als wir uns im Zimmer versammelt hatten, klopfte unser persönliches Kimono-Mädchen an die Tür,
öffnetediePapierschiebewandzumEingangsbereichundservierteunsTee.Sieerklärteuns,wiewirzuden
heißenBädernkamenundwelchesGeschlechtwannworeindurfte.»UndselbstverständlichkönnenSieim
gesamten Haus Yukata tragen, doch wir erhalten von Ihnen die Gunst, dass Sie zum Frühstück westliche
Kleidung anziehen.«
Wir zogen alle Yukata an. »Nicht soo!«, sagte Sachiko, als ich mir das Ding anziehen wollte wie einen
Bademantel.
»Spielt doch keine Rolle, Hauptsache, Finn ist nicht nackt«, fand Kenji.
»Ich denke, man muss bloß die linke Seite über die rechte schlagen, dann ist alles richtig«, behauptete
ich.
Sachiko zeigte mir, was noch alles zu beachten ist. Vor dem Schließen sollte ich beide Seiten des
Kleidungsstücks so anheben, dass der Saum knapp über die Knöchel reichte. Dann hatte ich den linken
Teil über den rechten zu legen, aber eng angepasst, und sollte die überschüssige Länge in einer Falte ver-
schwinden lassen. Der Gürtel war eng zu schlingen und zu einer klaren Schleife zu binden. »Die Schleife
darf nicht hoch stehen, das macht man nur bei Leichen, sondern längs«, sagte Sachiko. Ich blicke uns an:
Miguel, Sachiko, Kenji. Den Japanern stand die traditionelle Tracht viel besser als westliche Kleidung wie
Anzug oder Jeans. Wir Westler haben dagegen nicht ganz die richtigen Proportionen dafür.
DasEssenbautendieKimono-MädchenimZimmerauf.Fürjedenvonunsgabesgenau17verschiedene
Schälchen und Tellerchen mit kleinen Kostbarkeiten. Auf dem Tisch simmerten zudem Töpfe über kleinen
Brennern. Auf ihren Internetseiten stellen Ryokans meist viele Bilder ihres tollen Essens aus und nur
wenige mit den immer gleichen Zimmern. Später würden andere Kimono-Frauen die Futons für uns aus-
rollen. Aber vorher gingen wir baden.
Das Hotel bot vier Badelandschaften an, die je nach Uhrzeit für Frauen oder für Männer offen standen.
DergrößereBaderaumwarringsummitverschiedenenSteineninallenSchattierungenvonBraunundGrau
ausgekleidet. Die Tafel am Eingang pries an, dass die besonderen Steine aus allen Landesteilen mit dem
Vulkanwasser reagierten, um besondere Heilkraft zu entfalten.
Jede Beschreibung Japans, jeder Reiseführer und jede Hausordnung am Eingang eines Münzbads be-
stätigt es: Das Wichtigste ist, sich gründlich zu waschen, bevor es ins Wasser geht. Ich saß meistens zehn
Minuten und länger vor dem Wasserhahn auf einem Höckerchen und wusch und schrubbte mich. Viermal
seifte ich mich mit dem kleinen Handtuch vom Haaransatz bis zwischen die Zehen gut sichtbar ein. Jedes
MalbliebichdannmitdemSchaumamKörpermöglichstlangesitzen,ummichalleneingeseiftzuzeigen.
In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich damit, das Minihandtuch in der kleinen Schüssel auszuwaschen.
IchhatteimmerdasGefühl,dieWaschzeremoniesolanghinzuziehenwiemenschenmöglich,dochjedes
Mal gab es einen älteren Herren, der schon an der Waschstelle saß, als ich kam, und noch dasaß, wenn ich
aufgab und Richtung Quellwasser zog. Diesmal hockte da einer, der unter den Zehennägeln nach Schmutz
suchte und sich dann die Zähne putzte, und das alles sehr gemächlich.
Search WWH ::




Custom Search