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Auf der Hauptbühne sangen vier Plüschbälle in grellem Pink unisono ein Lied von einer J-Pop-Gruppe.
»Worauf kommt es hier an, um zu gewinnen?«, fragte ich die halbwüchsigen Orks neben mir.
»In den Vorrunden entscheidet die Jury nur über die Verkleidung. Jetzt im Finale muss man auch was
können. Derzeit ist Karaoke angesagt.«
DieJurygabdasZwischenergebnisbekannt:DiePelzbällekamenweiter,dafürschiedeineDreiergruppe
aus:»Bohnenmus-Brötchen-MannundseineFreunde,Konfitüren-Toast-GirlundCreme-Croissant-Junge«.
Dafür schieden die Pelzbälle in der nächsten Runde beim Tanzwettbewerb aus. Sie konnten sich in den
Kostümen kaum bewegen.
In der Tokyo Dome City drängen sich auch die Attraktionen dicht an dicht. Neben einem echten histor-
ischen Landschaftsgarten und dem größten überdachten Baseballstadion der Stadt schwingt sich eine Ach-
terbahn um einen Platz mit Bäumen, Brunnen, einer Wildwasserbahn und Karussells. Diese Achterbahn
schießt durch die Mitte eines Riesenrads. Ein Gruselhaus, Fastfood, ein Fallturm, alles da. Angeschlossen
sind auch ein Kegel- und Sportcenter und eine riesige Filiale der staatlichen Pferdewettgesellschaft.
Tausende von Männern fiebern in einer großen Halle rauchend vor Großbildschirmen mit, wenn die
Rennen laufen. Wenn alles vorbei ist, stürmen sie zu einer Hunderte von Metern langen Reihe von Auto-
maten, die ihnen die Gewinne auszahlen.
ImangeschlossenenShoppingcenter»SpaLaQua«sindvierStockwerkemitGeschäftenundRestaurants
untergebracht.DerBuchladenbietetauchsprechendePlastikbananenan,dieeinenzurgesundenErnährung
erziehen wollen. Ganz oben liegt das Fitnessstudio, in dem ich mich als Mitglied einschrieb. Es fühlte
sich komisch an, in so einer Scheinwelt eine reale Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Jedes Mal wun-
derte ich mich, wenn das Essen hier wirklich nährte. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn sich alles hier
Gekaufte beim Verlassen des Geländes in Luft aufgelöst hätte. Dabei waren das »Mangia«, ein Italiener,
und der »Rote Tiger«, ein Laden für chinesische Teigtäschchen, richtig gut.
Das Baseballstadion, der eigentliche Tokyo Dome mit 55 000 Sitzen, ist in Japan so bekannt, dass die
MedienihnjedesMalnennen,umgroßeWassermengenanschaulichzumachen.»InderTalsperrebefinden
sichauchnachdemDammbruchnoch30MillionenKubikmeterWasser.Dasistzwanzigmal derInhaltdes
Tokyo Dome«, sagte Moderator Ogura-san im Frühstücksfernsehen. Ich war dann jedes Mal etwas stolz,
schließlich lag der Dome in meiner Gegend.
Von meinem Fitnessstudio aus schaute ich über die Dächer von Tokio. Vor mir lag zunächst die Kunst-
landschaft der Tokyo Dome City mit ihren Alleebäumen, Springbrunnen, Karussells und dem weißen Ei
des Baseballstadions. Wenn die Achterbahn rechts den Berg auf das Shoppingcenter hinaufgekrochen ist,
donnert sie über das Dach hinweg und schießt links wieder hinunter. Alle fünf Minuten einmal. Beim er-
sten Mal dachte ich noch, es bebe die Erde. Ich wäre fast unter der Hantelbank in Deckung gegangen.
Zur Tokioter Vergnügungslandschaft gehört auch das Umland, das sich damit abgefunden hat, die
Hauptstadt zu bespaßen. Wir fuhren öfter raus in die Badeorte - diesmal zwölf Leute in drei Autos. Ich saß
vorne neben Kenji, der sich kürzlich einen Toyota Wish zugelegt hatte.
In dem Ort Isawa kannten wir ein Reisehaus mit heißen Quellen, das einen umwerfend schönen
Badebereich hatte. Wir belegten drei Tatamizimmer. Abends aßen wir in dem Raum, nachts schliefen wir
darin.VoneinemkleinenErkerausöffnetesichderBlickaufdieBerglandschaft.WiesovieleRyokanhatte
der Kasten jedoch seine besten Zeiten schon hinter sich. Der Teppich war verblichen, den Tischlerarbeiten
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