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Ich blickte zu Yusuke und Akiko hinüber, die echte Fukui-Studenten waren, und zweifelte für eine
Sekunde daran, ob ich Kenji wirklich mochte. Dann begriff ich, dass alle Japaner für immer an meiner In-
telligenz zweifeln würden, wenn sie von meinem Studienort hörten. Das Prestige der großen Hochschulen
überstrahlt alles. Auf eine Landuni geht dagegen nur, bei wem es einfach nicht für mehr langt.
»Ach, weißt du«, sagte ich zu Kenji, »für einen einfachen Ausländer wie mich reicht Fukui völlig!«
Um ihm doch noch die Schönheiten Fukuis zu vermitteln, gingen wir mit Kenji am Kernreaktor angeln.
DieKüsteistohnehinreichanFisch.»AberinderNähedergroßenAtomkraftwerkegibtessogarnochviel
mehr zu holen«, sagte Yusuke. »Das Kühlwasser wärmt das Meer, und das zieht besonders leckere Arten
an.«
»Ist das nicht gefährlich?«, fragte ich.
»Wieso soll das denn gefährlich sein?«
»Wegen Radioaktivität und so.«
»Aber Finn, normalerweise kommt doch gar keine Radioaktivität aus einem Atomkraftwerk heraus. Ich
habe das mit Yusuke schon öfter gemacht«, sagte Akiko.
»Das sind ja tolle Zeitvertreibe, die ihr hier auf dem Land habt«, murmelte Kenji.
Einmal ist keinmal, beruhigte ich mich. Mit dem Auto von Akikos Mutter fuhren wir hinaus zum
Kernkraftwerk Tsuruga. Yusuke wusste eine kleine Bucht knapp außerhalb der Absperrungen, die öffent-
lich zugänglich war. Ein alter Betonpier lief einige Dutzend Meter ins Wasser hinaus, bevor er bröckelig
versank.VorderBuchtzogYusukesTheoriezufolgedasangewärmteKühlwassermitderMeeresströmung
vorbeiundlocktedieFischean.ErbesaßeineSammlungvonAngelrutenundkonntemirundKenjiwelche
leihen. Außer uns waren noch neun oder zehn andere Angler da, was mich ein wenig beruhigte. »Atoman-
geln, das könnt nur ihr Japaner euch ausdenken«, sagte ich.
»Undichdachte,aufdemLandegäbeesnurPachinko-Spielhallen,LoveHotelsundConvenienceStores
als Zeitvertreib«, murmelte Kenji.
YusukezogzweiFischeausdemWasser,AkikoundichjeeinenundKenjikeinen.Meinerwarziemlich
klein. Und hatte er nicht ein auffälliges Geschwür am Kopf? War die Verdickung unten am Leib kein Tu-
mor? Der Fisch sei ganz normal, versicherte mir Yusuke. Ich hätte im Gegenteil ein Riesenglück gehabt,
gleich beim ersten Versuch eine Suzuki geangelt zu haben.
»Wenn der Monju noch laufen würde, könnten wir sogar in einer besseren Bucht angeln. Aber seit dem
Unfall produziert der Reaktor keine Wärme mehr«, sagte Yusuke.
»Unfall?«, fragte ich.
»Ja, ein Stück weiter an der Küste liegt ein Brutreaktor, an dem es vor zwei Jahren diesen Störfall
gegeben hat.«
»Ach, das ist hier?«, fragte Kenji interessiert. »In der Anlage soll es ja ganz schön gebrannt haben.« Ich
blickte auf den Fisch im Eimer.
»Aber anders als bei dem Tsuruga-Zwischenfall von 1981 ist dabei keine Radioaktivität ins Meer aus-
getreten«, sagte Akiko in beruhigendem Ton.
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