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Das Flugzeug
gewinnt an Höhe.
Reisen bedeutet
leben.
Gerade der letzte Block dieses konzisen Gedichts wehte hinüber ins Metaphysische, in Gefilde der un-
widerlegbaren Wahrheiten, die auch in ihrem eigenen Gegenteil stimmen. Das erinnerte mich an einen
Getränkeautomaten, der die riesige Aufschrift trug:
Boss is
the Boss!
Einmal wöchentlich fuhr ich mit dem Rad in den »Tempel der großen erleuchteten Friedfertigkeit«, um
Zen-Übungenzumachen.DieTempelhallen lagenzwischenKiefern,Kirschbäumen undhaushohemBam-
busdraußenvorderStadt.ZurAnlagegehörtenaucheinSteingartenundeinParkmitkleinenHolzbrücken
über Bergbächen.
Beim Treffen zur Meditation hockten zehn bis fünfzehn Leute auf Matten und starrten auf einen nicht
vorhandenenPunktvorsichhin.SiehieltendieAugenhalbgeschlossen,zähltenihreAtemzügeunddacht-
en an möglichst gar nichts.
Wie die anderen es machten, weiß ich nicht, aber mir gelang es während des ganzen Jahres nicht, wirk-
lichzumeditieren.KaumhatteicheineWeilemeineAtemzügegezählt,gingmirwiederderAlltagimKopf
herum. Außerdem hatte ich anfangs nicht verstanden, dass ich die Augen ein Stück offen halten sollte, und
machte sie zu. Das erhöhte die Gefahr des Einschlafens beträchtlich, so dass der Priester öfter mit seinem
Stock neben mir mahnend auf die Matten klopfte.
Der Priester trug eine verwaschene gelbe Robe und hatte den Kopf rasiert. Er war ein humorvoller Typ
Anfang fünfzig. Ich freute mich, dass er mich nicht nur an den wöchentlichen Zentreffen teilnehmen ließ,
sondern auch zum Plaudern einlud.
Viele junge Japanliebhaber finden Zen ganz toll. Bei den meisten, wie bei mir, kühlt sich das Interesse
dann ab. Ich l ächelte schon zu Fukui-Zeiten über die Amerikaner Anfang zwanzig, die in Kioto in den
Tempel eintraten und in Mönchsgewändern bettelnd durch die Stadt liefen. »Meistens hält das nur ein hal-
bes Jahr, dann sind sie wieder zu Hause in Kalifornien. Aber sie zahlen gut«, erzählte mir der Tempel-
priester. Für ihn war Zen harte tägliche Arbeit. Er nannte die Meditation »Training«, und er musste den
Tempel als Chef am Laufen halten. Geld vom Staat gibt es nicht, so dass er praktisch einen mittelständis-
chen Betrieb unterhielt - Produkt: spirituelle Dienstleistungen.
Ichwarfroh,mich zumMeditieren einfach dazusetzen zukönnen.Vorherhatte ichschonbefürchtet, der
Zugang werde schwerer sein. Ein älterer Landeskenner erzählte mir, wie er bei seinem ersten Aufenthalt
das Töpfern hatte erlernen wollen. Der Meister führte ihn in die Werkstatt und zeigte ihm einen Reisigbe-
sen.»ImerstenJahrdarfstdudieWerkstattfegen.ImzweitenJahrlassenwirdichdannvielleichtdenOfen
reinigen, wenn du dich beim Fegen als würdig erwiesen hast. Schon im dritten Jahr darfst du möglicher-
weise den Ton berühren.« Mein Bekannter lehnte dankend ab.
Unser Priester erzählte von Anfang an ausführlich vom Zen, obwohl das wahre Zen sich Worten
entzieht. (Ich verstehe bis heute nicht, wie das zusammenpasst.) »Alles ist miteinander verbunden. Auch
die Kohlköpfe dort« - er wies durch in den Tempelgarten - »sind eins mit dir, du weißt das bloß nicht.«
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