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Ich ließ mir von Miguel erzählen, wie die Uni funktionierte und was ich zu beachten hätte. »Das ist
hier alles etwas seltsam, aber irgendwie auch okay«, fasste er zusammen. Sein Professor behandelte ihn
anscheinend so von oben herab, dass er im ersten Jahr deswegen Depressionen bekommen hatte. Im hin-
tersten Winkel Japans ist ein Lehrer noch ein Halbgott, wie es sich im bildungswütigen Ostasien gehört.
Das passte mit der lockeren Einstellung, die wir internationales Volk zum Studieren hatten, nicht so recht
zusammen. Nachdem der Professor einmal nach ihm geschlagen hatte, versuchte er so gut es ging, ihm aus
dem Weg zu gehen. »Willkommen in Fukui, genieße es!«, sagte Miguel.
NachMiguelsErzählungsahichdemAntrittsbesuch beimeinemKontaktprofessoretwasnervösentgegen.
Er hatte mal in Heidelberg studiert und damals Deutsch gelernt. Deshalb fühlte er sich jetzt verpflichtet, in
seine Sprache lauter deutsche Worte einzuflechten, redete aber ansonsten mit japanischer Grammatik. Er
sagte also beispielsweise: »Spielen shi ni Japan ni kita!«, was auf den Vorwurf hinauslief: »Du bist doch
wohl nur nach Japan gekommen, um dich hier zu amüsieren!«
Er saß in seinem engen Professorenbüro in einem Bürostuhl, während seine Besucher auf niedrigen
Schemeln hockten. In Sichtnähe des Besucherschemels standen schwere deutschsprachige Philo-
sophiebücher in den Regalen.
Horikawa-sensei errichtete für die jeweils zwei deutschen Studenten vor Ort ein Überwachungsregime.
Als ich mal über ein längeres Wochenende einfach so zu Kenji fuhr, stellte er mich hinterher zur Rede.
»Wochenende wa wohin ni itta?«
»Ach,ichwarkurzbeiFreundeninderNähevonTokio«,antworteteichleichthin,hatteaberbereitseine
schlechte Vorahnung.
Seine Augen verengten sich. Er beugte sich leicht vor und betrachtete mich verächtlich.
»Von Anfang an kara klar datta. Tokyo wa zutto Fukui yori mögen!« Dann folgte eine längere Tirade,
dass ich mich bei ihm abzumelden habe, wenn ich die Stadt verließe. Überhaupt sollte ich besser in Fukui
bleiben. Ich sah das nicht ganz ein, schließlich war ich 22 Jahre alt, in meiner Heimat wie in Japan
volljährigundmitGelddesDeutschenAkademischenAustauschdiensteshier.AußerdemmochteichFukui
wirklich, ich wollte bloß zwischendurch auch mal nach Tokio.
Ein andermal konfrontierte er mich: »Bekannter wa Finn o abends Bahnhof no chikaku gesehen! Dort
nani o gemacht?« - Nichts besonderes, ich sei mit Freunden in einer Izakaya gewesen, sagte ich. Ich solle
mehr lernen als trinken, ermahnte er mich zunächst.
Doch dann kam er ins Schwärmen von Heidelberg. »Damals ha chanto Bier trinken gegangen. Burschen
toKneipedeTrinkliederouttateta.«TrinkliedermitBurschenineinerKneipeinHeidelberg?Nagroßartig.
Einer deutschen Mitstudentin, die wenig später ebenfalls ankam, tätschelte er auffällig oft die Schenkel,
während er mich manchmal auf den Hinterkopf schlug.
Ich rächte mich zu Weihnachten, indem ich ihm einen großen Marzipanriegel schenkte. Japaner können
Marzipan nicht ausstehen. Sie finden den Mandelgeschmack wider - lich. Außerdem hatte ich das Verfall-
sdatum mit Filzstift verlängert.
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