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»Dann werde ich also das ganze Studienjahr über Kakerlaken haben?«, fragte ich und schluckte bei dem
Gedanken, dass mir nachts im Schlaf drei Zentimeter lange Insekten übers Gesicht laufen würden.
»Aber nein!«, erklärte der Südamerikaner und schlug sich mit der halbleeren Bierdose in die Faust. »Es
lässt sich eine Menge machen. Es ist wichtig, dass du die Kakerlaken besiegst.«
»Was soll ich tun?«, fragte ich gelehrig.
»Das hier ist ein Gokiburi-Hoi-Hoi«, sagte Miguel und zog einen Pappgegenstand aus der Ritze zwis-
chen Kommode und Bücherregal.
DasDingsahauswieeinflachesMinihäuschenmitTürenundFenstern.DieTürchenstandenoffen.Die
Fensterchenwarennuraufgemalt.InihreRändergezeichnetwarenfröhlichwinkendeKakerlaken,diekeck
mit denFühlern zuwippen schienen. Dem menschlichen Betrachter sollte daswohlandeuten, dasssich die
Insekten von so einem heimeligen Häuschen besonders angezogen fühlen. Außerdem malen Japaner auf
alles niedliche Comicfiguren.
»Es ist wichtig, hier die Fußabstreifer anzukleben«, erklärte Miguel und zeigte auf die Flächen vor den
Türen. »Wenn die Kakerlaken staubige Füße haben, bleiben sie nicht kleben.«
Er spähte durch die Tür in sein Hoi-Hoi. »Oh, da sind ja welche drin.«
Jetzt sah ich es auch. Aus einer Ritze ragten lange, zuckende, gebogene Kakerlakenfühler. Ich bekam
eine Gänsehaut, begann aber zu verstehen. Die Insekten kamen ins Hoi-Hoi und blieben auf einem stark
klebrigen Fußboden hängen.
»Warum gehen die da rein?«, fragte ich.
»In die Mitte pappt man beim Aufstellen einen Köder, der nach gammelndem Fisch und Sexuallock-
stoffen der Kakerlaken riecht - einfach unwiderstehlich. Sie kommen also aus deinem Zimmer rüber …«,
Miguel hielt sich die Hände als Fühler an den Kopf und machte mit den Beinen im Sitzen das Krabbeln
derKakerlakennach,»…kommenuntermeinerTürschwelledurch…«,erbuckelte,machtesichflachund
robbte auf dem Teppich, »… und dann riechen sie es!«
Miguel folgte meinem Blick undsah das Hoi-Hoi in seiner Hand. »Oh,Entschuldigung.« Er schmiss die
Kakerlakenfalle in den Sack für brennbaren Müll, wusch sich die Hände und holte mir noch ein Bier aus
dem Kühlschrank.
Am nächsten Morgen beseitigte ich allen Fettschmutz aus der Kochecke und überhaupt die ganze
klebrig-fleckige Schicht vom Kunststoffboden. Dann verteilte ich Kakerlakengift in allen Ecken und baute
eine ganze Fünferpackung Gokiburi-Hoi-Hois auf. Beim Kauf waren die Kakerlakenhäuser flachgelegt.
Ich bastelte sie fertig, indem ich sie nach Anleitung auseinanderfaltete, das Beutelchen mit dem fischig
stinkenden Lockstoff in die Mitte klebte, die Fußmatten anbrachte und das Dach zusammensteckte. Vor
mir stand ein niedliches Kakerlakenhaus, aus dessen Obergeschossfenster ein gezeichnetes Kakerlaken-
weibchen einladend fühlerte. »Na wartet, ihr werdet noch …«, murmelte ich und schob das Hoi-Hoi unter
die Kommode. Kakerlaken sah ich bis zum Ende meines Aufenthalts kaum noch.
Ich klopfte bei Miguel.
»Kann ich mit dir auch über andere Sachen sprechen als über Kakerlaken?«
»Das ist ein wichtiges Thema.«
»Es dürfte jetzt erledigt sein. Möchtest du vielleicht diesmal zu mir rüberkommen? Ich habe Bier besor-
gt. Das Zimmer riecht allerdings noch ein wenig nach Chlor. Und pass in den Ecken auf, die sind giftig.«
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