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HattendieTraubennichtvonAnfanganetwaschemischgeschmeckt?Irgendwiesahensieplötzlichauch
nicht mehr so lecker aus.
Das traditionelle Holzhaus der Matsubaras war über eine Steintreppe zwischen moosbewachsenen
Natursteinen mit einem Gewirr alter Straßen und Gassen verbunden, die sich von der Pazifikküste den
Berg hinaufzogen. In den Wäldern der Umgebung befanden sich viele kleine Heiligtümer. Kenjis Mutter
schickte uns zu einem der nahen Schreine, damit wir dort beteten. Am Schrein zeigte mir Kenji, wie die
JapanermitdenGötternsprechen.SiereinigenHändeundMunderstrituellmitQuellwasser.Vorderheili-
gen Halle werfen sie Geld in den Kasten. Münzen mit einem Loch drin bringen besonders viel Glück, also
das Fünf- und das Fünfzig-Yen-Stück. Dann klatschen sie in die Hände, bringen still die Bitte an den Gott
vor, verbeugen sich und treten ab. Die Verbeugung scheint der wichtigste Punkt zu sein.
KenjiholteeinPaketvonGatsby-TüchernausderTasche.Ichhatteihnschondamitbeobachtet.Esschi-
en so eine Art größere Erfrischungstücher zu sein. »Damit wischt man sich das Gesicht ab«, sagte er und
tat's. »Sie halten die Haut frisch und rein und beugen nebenbei Pickeln vor.«
Mir war in den zwei Tagen in Japan bereits aufgefallen, dass junge japanische Männer ziemlich viel
Wert auf ihr Äußeres legen. Kenji verbrachte viel Zeit damit, seine Frisur zu stylen. Wenn seine Freunde
vorbeikamen, trugen sie die Haare ebenfalls aufwändig zurechtgemacht. Und wo ich ein einfaches blaues
T-Shirt trug, hatte er eines mit Goldaufdruck und Stickereien an.
»Wofür hast du jetzt gebetet?«, fragte ich.
»Ist doch klar. Für Erfolg bei der Prüfung! Deshalb hat mich meine Mutter ja in Wirklichkeit
hergeschickt«, sagte Kenji. »Sie selbst kommt vermutlich jeden Tag einmal hier vorbei und fleht um hohe
Punktzahlen für mich.«
MitKenjifuhrichauchdieanderthalbStundenimRegionalzugnachTokio.WirbewundertenimKaufhaus
Pfirsiche, die pro Stück 70 D-Mark kosteten. Wir blickten in Ikebukuro vom Wolkenkratzer Sunshine 77
über die Stadt. Im Stadtteil Shibuya beglotzten wir die außerirdischen Gothic-Jugendlichen. In Japan wird
es schnell dunkel, und plötzlich fanden wir uns in einer völlig veränderten Ausgehwelt zwischen rot und
gelbblitzendenLeuchtreklamen wieder.KenjisteuerteeinenpreiswertenYakiniku-Ladenan,wodieGäste
dünne Fleischscheiben am Tisch selber grillen.
»Was trinkst du?«, fragte Kenji.
»Bier«, sagte ich.
Kenji zögerte einen Moment, winkte der Kellnerin, zögerte noch mal und bestellte dann zwei Bier. Wir
stießen an. Aßen und tranken. Bestellten noch ein Bier. Aßen zu Ende und bestellten vor dem Heimweg
noch eine dritte Runde.
»Hoffentlich gibt es keine Razzia«, sagte Kenji plötzlich scherzend, aber nicht ganz unernst.
»Wieso?«, fragte ich und setzte das Glas an die Lippen
»Bier ist in Japan erst ab 20 erlaubt. Ich bin noch 19. Aber hier in Shibuya stört das die Leute nicht so.«
Vor Erstaunen prustete ich in meinen Bierschaum.
»Das ist nicht dein Ernst? Bier? Ab 20?«
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