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Während der folgenden halben Stunde in einer der Schlangen hatte ich ausgiebig
Gelegenheit, mich mit dem Gebaren der Türsteher vertraut zu machen. Der Chefein-
weiser in Jeans und Sweatshirt trug ein Headphone-Set, mit dem er cool von einem
seiner Untergebenen zum nächsten lief, mal hier ein hübsches Mädchen durchwinkte,
mal da einen Mittvierziger mit zurückgegelten Haaren im Navy-Sakko mit Zigarre im
Mund freundschaftlich mit Umarmung und Schulterklopfen begrüßte und in den Tru-
bel hinter der Tür entließ. Die fünf, sechs durchtrainierten Türsteher trugen alle
schwarze Anzüge, weiße Hemden mit Fliege, als wäre das hier St. Tropez oder Cannes
während der Filmfestspiele und nicht Lissabon im Oktober, Donnerstagnacht um zwei
Uhr.
Als ich endlich an der Reihe war, fragte mich einer der Herren in tadellosem Portu-
giesisch nach meiner Membership-Card. Ich ahnte bereits, was das wohl bedeuten
würde. Durften die anderen Großgrundbesitzersöhne und -töchter im College-Chic
brav ihre zwanzig, dreißig Euro Eintritt zahlen, war mein Unterfangen als aussichtslos
besiegelt worden. Die üblichen Phrasen der guten Freunde, die schon drin waren, hätte
ich mir prinzipiell sparen können, versuchte aber dennoch mein Glück und schrie, da
bereits vor der Tür die Musik erstaunlich laut war, einige der Namen meiner Freundin-
nen und Freunde zu dem Chef hinüber, der aber nur achselzuckend beteuerte, so ge-
wöhnliche Namen wie Natascha und Maurizio gäbe es hier so viele, er wüßte be-
stimmt nicht, wen ich meinen könnte.
Auf der Heimfahrt ins Hotel überlegte ich vergebens, warum mir wohl in dieser
sternenklaren Nacht der Eintritt in dieses Märchenland verweigert worden war. Und
während der singende Lärm in meinem Ohr leiser wurde, mußte ich an die dämpfende
Wirkung von Kork denken, denn durch die nachlassende Ohrenbetäubung kam es mir
vor, als würde ich in einem Korkauto am Tejo entlang fahren.
Kork, so muß man wissen, ist eine der großen Rohstoffressourcen Portugals. Die
weiten Ebenen des Alentejo stehen voll mit Korkeichen. Es dauert zwischen zwanzig
und dreißig Jahren, bis ein gepflanzter Baum seinen ersten Ertrag abwirft. So hat der
Anbau von Kork viel mit der Hege und Pflege eines Jahrgangs-Portweins gemein, dem
er zudem noch den adäquaten Verschluß liefert. Die behutsame Schälung der Stämme
hat dafür Sorge zu tragen, daß untere Lagen keinen Schaden nehmen.
Gewiß verhalfen die portugiesischen Bäume auch dem Romancier Marcel Proust zu
seinem komplett mit Kork abgedämmten Schlaf- und Arbeitszimmer und trugen so
maßgeblich zur Entstehung seines großen Werkes bei, das »Auf der Suche nach der
verlorenen Zeit« von der Erinnerung erzählt. Der Kork ist so nicht zuletzt eine Mah-
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