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läßt sich in diesem Viertel auch nachts beobachten, zusammen mit den verblüffenden
Nebeneffekten, die mit ihr einhergehen.
In der gemütlichen Rare-Groove-Höhle Capela stand ich eines frühen Abends an der
Bar und beobachtete den DJ, ein freundliches Mondgesicht mit Vollbart, bei der Arbeit
am Plattenspieler direkt neben dem Eingang. Der Freund deutscher Frühelektronik der
siebziger Jahre trug ein Can-T-Shirt und präsentierte einen interessanten Mix aus mi-
nimalistischer Musik. Als ich ein famoses Stück von Stereolab mit dem Namen »Blaue
Milch« erkannte, sprach ich ihn auf die Schönheit der Tonfolge an und geriet sofort in
eine angeregte Debatte über ein Berliner Kleinstlabel, bei dem die Platte erschienen
war.
Die Vertrautheit des Gesprächs schien mir auf gegenseitige Sympathie hinzudeuten,
wurde jedoch jäh unterbrochen, als wir uns gerade bei der Einschätzung eines anderen
Künstlers des gleichen Labels nicht einigen konnten. Plötzlich fand er eine gesuchte
Platte nicht, Freunde von ihm kamen vorbei, um ihm eine Single zu schenken, und ob-
wohl unser Gespräch sich, was den Ton anbelangt, nicht im geringsten verändert hatte,
redete er kein Wort mehr mit mir. Zuerst führte ich das Verhalten auf die berufsspezi-
fische Arroganz des Diskjockeys zurück, konnte mir dann aber wiederum nicht die
vorausgegangene Freundlichkeit erklären. Also trank ich mein Bier, uma imperial , aus
und wollte schon grußlos gehen, als mich der DJ wieder grinsend anschaute und sich
bis zum nächsten Mal, até à próxima , verabschiedete.
Auf eine Erklärung für dieses Verhalten angesprochen, versicherte mir meine
Begleiterin, es handele sich um ein völlig normales Verhalten in Portugal. Die Auf-
merksamkeit meines neuen Freundes sei wohl von vielen anderen Dingen in Anspruch
genommen worden und das Gespräch sozusagen in einer Endlos-Warteschleife ge-
parkt. Beim nächsten Besuch, so versprach sie mir, würde er mich wohl begrüßen wie
einen alten Freund.
Wie grundlegend sich dieses Verhalten von den Türstehern einer Diskothek unter-
schied, mußte ich an einem anderen Abend erfahren. Unterwegs mit ein paar portugie-
sischen Freunden im wenig einladenden Feriendisco-Komplex der Docas unten am Te-
jo, unterbrach ich den Abend an der lärmigen Rummelmeile kurz, um an einem Geld-
automaten meine Brieftasche aufzufüllen. Für eine halbe Stunde später hatten wir uns
in einem Trendclub Lissabons mit dem überwältigenden Namen Kapital verabredet. Es
war ein ganz normaler Donnerstag, nichts Besonderes, wie ich dachte. Doch bereits die
unzähligen verschiedenen Schlangen um den Eingang an der Avenida 24 de Julho ka-
men mir verdächtig vor.
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