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Fast immer handelt es sich um sogenannte Halbaussteiger. Ihr Name besagt, daß sie
sich nicht ganz dazu durchringen konnten, ihren kompletten Rückzug aus der Zivilisa-
tion auf einem versteckten Waldgrundstück in Angriff zu nehmen. Also nicht die ver-
trauten Argumente wie »Hier wächst alles, was du brauchst, direkt vor der Tür« oder
»Die Ureinwohner sind eigentlich echt superfreundlich; mit dem blöden Glotzen, das
meinen die nicht so« und ähnliche Schönredeversuche eines mißlungenen Integrati-
onsversuchs.
Vielmehr haben sie es nicht darauf abgesehen, von Selbstangebautem zu leben, son-
dern wollen, im Gegensatz zu ihren kapitalistischen Spießer-Landsleuten im kalten
Norden, hier in der Wärme mit Einheimischen und Touristen ihr großes Geschäft ma-
chen, um sich ein paar Jahre später endgültig in irgendeinem Steuerparadies zur Ruhe
zu setzen. Der Wertekatalog an positiven Charaktereigenschaften, den Menschen in so
einem Beruf noch bei sich tragen wie eine letzte Drucksache der heimatlichen Zivilisa-
tion, ist nicht sehr umfangreich.
Einmal saßen wir, ohne es zu wissen, in der Bar eines solchen Halbaussteigers in La-
gos. Wir waren dort hineingeraten, obwohl die Flyer-Verteiler vor der Lokalität uns
auch beim dritten Vorbeilaufen konsequent ignoriert und statt dessen gelangweilt ent-
langschlendernden einheimischen Schülerinnen die handgeschriebenen Zettel über-
reicht hatten. Obwohl die Verteiler aussahen, als ob sie sich nach der Arbeit noch für
einen Kung-Fu-Film casten lassen wollten, war die Musik, die aus der Bar dröhnte, an-
genehm baßlastig. Drinnen war Hochbetrieb, das fast ausschließlich portugiesische
Publikum schien sich zu amüsieren. Das Thekenpersonal kam mit der Zubereitung der
Drinks kaum nach, so daß ein älterer Mann, offenbar der Besitzer, kräftig beim Ein-
schenken half. Dennoch bekamen wir einen Sitzplatz direkt an der Bar und wurden
von unten, der Besitzer schloß gerade ein neues Faß Superbock -Bier an, mit einem
fröhlichen »Hallöchen!« begrüßt.
Einige Drinks später waren wir im Bilde. Matthias, sein Name stand auf einem
Holzbötchen eingraviert, das wohl einmal dem Spendensammeln der Deutschen Ge-
sellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gedient hatte, kam gar nicht mehr raus aus dem
Schwärmen: »Du, das ist so toll hier an der Algarve. Jede Nacht neue Leute, tolle Par-
ties bis zum Morgengrauen, und dann mit frischen Hörnchen zum Sonnenaufgang an
den Strand. Später Surfen gehen. Wann ich zum Schlafen komme, weiß ich auch
nicht.« Als wir den schon etwas starr blickenden Padrone nach einem Tip für später
fragten, wurde er plötzlich betont geheimnisvoll. Er beugte sich mit seinem ver-
schwitzten Gesicht über den Tresen hinüber und flüsterte im typischen
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