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dem Raum, wo der Fernseher steht. Dort wird man zunächst mißmutig, bald immer to-
leranter, und schon beteiligt man sich an den anschließenden Spekulationen über mög-
liche innere Kämpfe, Motivationen oder Fehler der Protagonisten. Eine Woche später,
und man lernt deren Sprache und sonderbaren Humor schätzen, noch eine Woche spä-
ter, und man ertappt sich dabei, die Dialoge der Stars zu memorieren, um sie dann
selbst später beim Einschlafen nachzusprechen. Einen Monat später, und die Realität
des Winters in einer für Portugal erstaunlicherweise immer noch typischen Wohnung
ohne Zentralheizung ist durch den brasilianischen Seriennebel um einige Grad wärmer
und unschärfer geworden. Obendrein hat man gutes Serienbrasilianisch gelernt.
Portugal hat vier offen ausgestrahlte Fernsehprogramme, zwei davon sind staatlich.
RTP 1 (ehemals Canal 1) versucht, mit den privaten Sendern zu konkurrieren, indem
man eine wohl sortierte Auswahl an britischen und amerikanischen sitcoms und Seri-
en, den telenovelas zeigt, unterbrochen nur von Werbung und Nachrichten. So fährt
man Geld ein, das auch gebraucht wird, um ein anspruchsvolles Bildungsprogramm
mit Dokumentationen, klassischen Kinoformaten und E-Musik zu finanzieren. Noch
dazu wird ausschließlich für kulturelle Veranstaltungen geworben. TV 2 besteht zu fast
hundert Prozent aus Sport. Der private Sender SIC erlangte seine führende Position auf
dem Markt, indem er, neben telenovelas , Serien über UFOs und Verbrechen, einfach
sämtliche Sendungen ausstrahlte, die den Auftritt von nackten Menschen rechtfertigen,
ob dabei im Hintergrund tanzende Gorillas zu sehen sind, eine Freikörperkolonie in
Schweden thematisiert wird oder das fanatische Publikum wieder einmal die Kandida-
ten zum Entkleiden auffordert. Wo so etwas passiert? Wie überall: in einer dieser
selbstzerstörerischen Sendungen für Menschen, die plötzlich keine Tabus mehr kennen,
wenn es um Geld und Öffentlichkeit geht. Selbst der von der katholischen Kirche ins
Leben gerufene zweite Privatsender TVI holte mit gewagten Serien wie »Baywatch«
mächtig auf. Die Kirche steht ebenfalls hinter einem Radiosender mit dem sprechen-
den Namen Rádio Renascena , der neben dem Hörfunk auch über das Internet zu emp-
fangen ist.
Obwohl Portugal mit 10,4 Prozent immer noch die höchste Analphabetenrate Euro-
pas hat, befindet sich die Printmedienbranche in einer scheinbar nicht enden wollen-
den Expansionsphase. Die höchsten Auflagen erzielen Sportmagazine wie die Fußball-
gazette A bola . Um hierbei mithalten zu können, bringen auch die anderen Blätter aus-
führliche Fußballnachrichten. Da sich Portugal im Zuge der EU und der Eurokrise vor
allem um ökonomische Beweglichkeit und eine Rückkehr zum Aufschwung kümmert,
werden inzwischen auch Wirtschaftsnachrichten mit sehr großem Interesse verfolgt.
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