Travel Reference
In-Depth Information
für den portugiesischen Spieleingriff im Strafraum führte neben dem entscheidenden
Tor, dem 2 : 1 für die Sieger aus Frankreich, auch zu erhitzten Reaktionen unter den
portugiesischen Spielern. Rote Karten folgten, der junge Stürmerstar Nuno Gomes mit
seinem jugendlich rebellischen Stirnband verließ wutentbrannt den Platz, und bald
witterte man ein »Komplott« des Europäischen Fußballverbandes, der UEFA. Nach ih-
rem Willen, so Figo, sei auf diese Weise verhindert worden, daß ein zu kleines Land
ins Endspiel komme. Obwohl Kamerabilder das Anspielen der Hand von Abel Xavier
eindeutig bewiesen, blieb Figo bei seinem Manipulationsverdacht. Die »Sekunden, in
denen unsere Sehnsucht starb«, so Nuno Gomes, reichten, um die alten Wunden auf-
zureißen, die Ungerechtigkeit der Welt auf ein neues bewiesen zu sehen. Das Schicksal
im schwarzen Gewand eines vermeintlich unfähigen Schiedsrichters hatte wieder ein-
mal besonders schwer zugeschlagen.
Wie bei der Weltmeisterschaft 1998, als natürlich ein Schiedsrichter beim Qualifika-
tionsspiel gegen Deutschland schuld an der verpaßten Teilnahme war. Man zankt sich,
alle zeigen auf den Buhmann, und schon ist wieder einmal völlig klar, daß Fußballer in
Portugal einfach mehr sind als gutbezahlte Sportwerbeträger. Sie sind große Kinder,
aber noch größere Kulturschaffende, deren Heldenhaftigkeit sie auf den Olymp ent-
rückt wie sonst nur in Italien. »Jeder Spieler«, so schreibt der Lyriker Manuel Alegre,
»ist in gewisser Weise ein Dichter, und das Spielfeld ist das weiße Blatt, auf dem er sei-
ne Seligkeit sucht, den Augenblick, in dem er die unglaublichste Täuschung vollbringt
oder ihm das unvergleichliche Tor gelingt.«
Nun könnte man glauben, daß eine solche Passion zu ähnlichen menschlichen Ent-
gleisungen führt wie das Phänomen der Hooligans in Nord- und Mitteleuropa. Aber
weit gefehlt. Die Stadien bleiben oftmals halbleer, und das Verfolgen der Spiele vom
heimischen Fernseher aus oder beim Abendessen im Restaurant läßt die Straßen Por-
tugals bei wichtigen Spielen verwaisen. Nur hier und da sieht man alte Männer mit
Transistorradios an den Ohren, die, den Kopf schüttelnd, den Bürgersteig entlangtrot-
ten. Selbst beim heiligen Fußball verlieren die Portugiesen nicht ihre dezente Art.
Als ich einmal bei einem Abendessen mit meiner Begleiterin in einem Restaurant
saß, wurden wir Zeugen dieses unglaublich angenehmen Umgangs mit dem Fußball.
Ein Fernseher übertrug, wie dort überall im Süden Europas, von einer oberen Ecke des
Raums aus ein Spiel der Nationalmannschaft. Der freundliche Ober verlor keinen sei-
ner Gäste aus den Augen, obwohl er, wenn er gerade nichts zu tun hatte, das Gesche-
hen auf dem Rasen verfolgte. Als dann Portugal in Führung ging, legte sich ein schma-
les Lächeln über sein Gesicht. Doch die Führung hielt nicht lange, und es gab ein Ge-
Search WWH ::




Custom Search