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Urlaub hat die Orientierung Portugals nach Italien auch musikalisch eine Tradition.
König Johann V. nahm Gesangsunterricht bei italienischen Sängern und verpflichtete
gar den großen Barockkomponisten Domenico Scarlatti als Lehrer für seine Kinder.
Sein Hoforganist Carlos Seixas komponierte im 18. Jahrhundert einige Sonaten, die zu
den wenigen Werken gehören, die auch heute noch ab und zu aufgeführt werden. So
kommt es auch, daß berühmte portugiesische Pianisten wie Maria João Pires, José Car-
los Sequeira Costa oder Pedro Burmester in ihr Konzertrepertoire eher selten einen
portugiesischen Komponisten aufnehmen. Möglichkeiten, klassische Musik live zu hö-
ren, bleiben weitestgehend ungenutzt.
Die Konzerte des Studentenchores der Universität Coimbra zum Beispiel, der im-
merhin dreimal die Woche unter exzentrischer Leitung weit bis nach Mitternacht
probt, lockt, wie bei einem Besuch festzustellen war, selten mehr Publikum an, als Auf-
führende anwesend sind. Selbst professionelle Ensembles wie das Orchester der
Gulbenkian-Stiftung, das Orquestra Sinfónica oder das Orquestra Metropolitana aus
Lissabon geben in halbleeren Auditorien vergangener Pracht ihre Konzerte. Das Desin-
teresse der Menschen schlägt sich natürlich auch in der Wartung der Instrumente nie-
der. Einen geschlagenen Abend lamentierte ein Kirchenmusiker aus Aachen, den wir
ebenfalls in der Quinta de São Bento während eines Dinners kennenlernen durften,
über den bedauernswerten Zustand der Orgeln in nahezu sämtlichen portugiesischen
Kirchen.
Hört man gelegentlich aus Kirchen beim Vorübergehen einen Organisten improvi-
sieren, so klingt dies bisweilen schräg. Viel sonderbarer aber ist für ungeübte Ohren
ein allem Anschein nach zum Zitherspiel intonierter Sorgengesang, der aus verrauch-
ten Lokalen zu später Stunde auf die Gassen hinaustönt. Denkt man zunächst auf-
grund der Instrumentierung an ein wehmütiges Treffen des Alpenvereins, Division
Portugal, oder auch an die Darbietung einer Zigeuner-Schmonzette, verhilft ein Blick
auf das Plakat an der Tür zur Gewißheit: Hier wird Fado geboten. Und das vermeintli-
che Zitherspiel rührt von einer der Gitarren her.
Portugals traditionsreichste und beliebteste Musik ist pure Folklore. Die geballte Lie-
be der Portugiesen zur Musik zeigt sich besonders in ebendiesem Fado. Die Leiden-
schaft, die dieser Musikrichtung zuteil wird, die zugleich Lebensanschauung und Ge-
fühlskatalysator ist, zeigt sich in ihrer Tendenz zu polarisieren. Man liebt Fado, oder
man haßt Fado, niemand geht hin, weil es heute nach der brasilianischen telenovela
(zu dieser Leidenschaft später) nichts mehr im Fernsehen gibt, es draußen regnet oder
die Familie verreist ist. Man geht nicht, um Fado zu hören, man geht zum Fado.
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