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und viele haben es verloren. Denn Sansibar ist ein trügerisches Paradies, das mich an einen
Satz des französischen Dichters Stéphane Mallarmé (1842-1898) erinnerte: Hütet euch vor
den Sehnsüchten, die in Erfüllung gehen.
Östlich der Altstadt zog mich auf Sansibar das Haus eines guten alten Bekannten an, von
dem ich alles gelesen hatte, was ich finden konnte. Da er aber schon weit über 100 Jahre
tot ist, habe ich ihn nie kennengelernt. Ich meine den schottischen Arzt und Missionar
David Livingstone (1813-1873). 30 Jahre lebte er in Zentralafrika, davon verbrachte er
viele Monate auf Sansibar, wo er sich vehement gegen den Sklavenhandel einsetzte, dessen
Spuren mir in Sansibar-Stadt vielerorts begegneten. Zum Beispiel das Haus von Hamed bin
Muhammed bin Juma bin Rajad el Murjebi, kurz »Tippu-Tip« genannt. Dieser angesehene
Kaufmann von arabisch-afrikanischer Herkunft galt als einer der berüchtigtsten Sklaven-
und Elfenbeinhändler. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts plante er in seinem prachtvollen
Haus auf Sansibar zahllose Seeüberfälle und Plünderungen, die ihm ein unglaubliches Ver-
mögen einbrachten. Auf diese Weise wurde er zu einem der reichsten und mächtigsten
Männer in Ost- und Zentralafrika.
Ein paar Schritte weiter kam ich zur 1878 errichteten Church of Christ Cathedral. An
gleicher Stelle befand sich einst der berüchtigte Sklavenmarkt, wo Menschen aus Schwar-
zafrika zur profitträchtigen Ware wurden. Noch im Jahre 1870 zahlte man für einen jungen
Arbeitssklaven im Inneren Afrikas umgerechnet 1,50 Euro. In Sansibar stieg der Preis auf
etwa 25 Euro, während die Kaufleute der Arabischen Halbinsel bis zu 50 Euro für einen
Arbeitssklaven ausgaben.
Schließlich führte mich ein junger Sansibarer in das finstere Kellergewölbe der Church
of Christ Cathedral. Hier wurden in niedrigen Verliesen mit nur wenigen Quadratmetern
verschleppte Menschen wie wilde Tiere an Eisenketten gefangen gehalten, ehe man sie auf
dem Sklavenmarkt verkaufte - zur Fronarbeit auf sansibarischen Gewürzplantagen oder
nach Arabien.
Auf dem Markt, wo verschwitzte Händler lautstark ihre Waren anpriesen, traf ich an-
derntags Yussuf Tamimo, einen 87-jährigen Fischer, der etwas abseits auf einer Holzbank
saß. Yussuf war ein hagerer Sansibarer mit wettergegerbtem Gesicht und braun-weißem
Gewand, der eine bunt bestickte Gebetskappe trug. Mit leuchtenden Augen erbot er sich,
mir ein paar Plätze sansibarischer Handwerkskunst zu zeigen. Natürlich für ein kleines
Trinkgeld. Erwartungsvoll stimmte ich zu und war begeistert von all dem, was ich zu sehen
bekam: uralte Werkstuben, wo Tischler sägten, Schuster hämmerten und die Schneider ihre
ratternden Nähmaschinen in Gang hielten.
Später saßen Yussuf und ich im alten Hafen unter einem Schatten spendenden Sonnense-
gel zusammen, tranken Kaffee, aßen Ananasscheiben und schauten dem geschäftigen
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