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Zeit versetzte, als das trapezartige Dhau-Segel im Indischen Ozean noch ein Zeichen des
Schreckens war, weil es von Seeräubern und Sklavenhändlern benutzt wurde.
Piraten muss man auch heute noch in den afrikanisch-arabischen Gewässern fürchten.
Oft sind sie mit modernsten Waffen ausgerüstet und kapern mit Vorliebe große Container-
schiffe, um von den Schiffseignern hohe Lösegelder zu erpressen. Wir dagegen hatten am
vierten Segeltag sehr viel mehr mit den Unbilden der Natur zu tun. Eine Wolkenfront rückte
näher, und der Wind zog an, fegte bald mit Sturmstärke über das Meer. In der Luft war ein
ungeheures Tosen und Heulen. Die Wellenkämme wurden höher und die Wellentäler tiefer.
In aufgepeitschten Wassermassen hob und senkte sich die Dhau in weißer Gischt. Es war,
als würde jemand das Schiff hochheben und aufs Wasser zurückfallen lassen.
Unaufhörlich attackierten schwere Böen den Lastensegler mit heftigen Stößen, die die
schlingernde Dhau bedrohlich weit auf die Seite legten. Hochschwappende Wogen und
überbrechende Seen mit grellweißen Schaumkämmen schossen durch die Speigatten, über-
spülten das Schiff und durchnässten uns ebenso wie die sintflutartigen Regengüsse. Die
Crew zog an Seilen und Leinen, Tampen und Schoten. Alle Männer waren in Bewegung
und brüllten dabei ihre Arbeitsgesänge dem Sturm entgegen. Es war ein aufregendes, aber
auch beängstigendes Gefühl, sodass ich mich mit einer Leine sicherte, um nicht über Bord
zu gehen. Am eigenen Leibe durchlebte ich das ganze Ausmaß der Strapazen, das die ar-
abischen Seefahrer auf ihren hölzernen Dhaus von alters her durchstehen müssen.
Die ganze Nacht stampfte und rollte das große Holzschiff mit voller Maschinenkraft
durch die aufgewühlte, furchteinflößende See. Keine einfache Fahrt, eher herzsch-
lagtreibend und adrenalinjagend. Ich erlebte etwas, das nicht zur Gänze beschrieben wer-
den kann, weil das Meer ein Element des Geheimnisvollen ist. Ein Element, das uns
Menschen den Grenzbereich finden lässt, wo Außenwelt und Innenwelt kompromisslos au-
feinandertreffen.
Stunde um Stunde wogte das Meer, brauste der Sturm. Erst im heller werdenden Tages-
licht, das die Nacht vertrieb, endete der wilde Tanz. Die heftigen Windfurien flauten zu
einem gelegentlichen Flüstern ab, und das ungestüme Rollen der Wellen ließ nach. Hinter
uns waren die tiefhängenden Wolken noch schwarz, über uns grau - und weit voraus sah
ich blasse Büschelwolken mit ersten Flecken. Dort dehnte sich die offene See bis zum Ho-
rizont. Ich konnte kaum glauben, dass wir mehr als fünfzehn Stunden im Unwetter gesteckt
hatten. Alle an Bord waren todmüde und brauchten eine Portion Schlaf.
Es folgten azurblaue Tage mit langer und freundlicher Dünung, während das grelle Sonnen-
licht helle Reflexe auf das Meer zauberte und das Auge gelegentlich unterschiedlichste
Gestalten in die willkürlichen Muster von Wellen und Licht projizierte. Oft sah ich den
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