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Seit vier Wochen war ich nun schon im Indischen Ozean unterwegs und folgte einer
historischen Seefahrtsstraße, auf der die Araber einst nicht nur Gewürze, Gold und Seide
transportierten, sondern auch Millionen von Sklaven aus Schwarzafrika, weshalb diese
Route als »Seeweg der Tränen« bekannt wurde. Über diesen historischen Seeweg las
ich über Monate hinweg alles, was ich in die Hände bekommen konnte, ehe ich im
Frühjahr 1997 nach Afrika aufbrach. In den Hafenstädten von Madagaskar hielt ich ta-
gelang Ausschau nach einer Dhau, die noch auf der traditionellen Handelsroute der Araber
nach Sansibar segelte. Nur mit allergrößter Überredungskunst gelang es mir schließlich,
an Bord einer jener Lastensegler zu kommen, die noch heute Gewürze, Tee, Datteln, Man-
grovenstämme oder Trockenfisch über den Indischen Ozean transportieren.
Das Wort Dhau ist übrigens ein Suaheli-Wort unbestimmter Herkunft und wird noch
heute als Sammelbegriff für jene hölzernen Segelschiffe verwendet, die seit mehr als
tausend Jahren die afrikanisch-arabischen Gewässer befahren. Mögen sie sich auch in Typ
und Größe unterscheiden, so verfügen doch alle über ein charakteristisches Merkmal: das
große Trapezsegel. Auf hoher See, im gleißenden Licht der Sonne, wirken die riesigen Se-
geltücher seit jeher wie blitzende Krummschwerter. Sie werden an den Masten von langen
Rahen (Querstangen) gehalten, die aus mehreren Spieren (Rundhölzern) zusammengesetzt
sind. Überdies besitzt eine Dhau einen bauchigen Rumpf, einen kurzen Kiel und ein kan-
tiges Heck. Der hohe Schrägmast, der zum spitzen Bug geneigt ist, muss sehr stabil gebaut
sein, um beim Eintauchen in die stürmische See nicht unter dem immensen Wellendruck
zu bersten. Zudem verfügen mittlerweile fast alle Dhaus über einen Dieselmotor.
Anfang Mai, nach Beginn des Süd-West-Monsuns, stach ich mit einem nostalgischen
Dhau-Segler in See. Von Madagaskar nach Sansibar. Eine Strecke von rund 800 Seemeilen.
Mein »Fahrgeld« betrug umgerechnet 500 D-Mark.
Es war ein tolles Gefühl, als die große Dhau den Hafen von Mahajanga verließ, als das
weiße Dreiecksegel sich entfaltete und prall füllte. Wie ein großer Seevogel glitt die Dhau
unter dem Befehl von Kapitän Ahmed Salelahs durch einen schäumenden Wellenteppich
dahin, angetrieben von stetigen Winden. Ich hockte auf dem erhöhten Kajütdach, sog die
frische Brise tief in mich ein und lauschte dem Rauschen der Bugwelle, dem Ächzen der
baumdicken Masten und dem Singen des Windes in der Takelage. Wahnsinn, dachte ich,
einfach Wahnsinn! Ich hatte den Eindruck, als wäre seit den Abenteuern von Sindbad dem
Seefahrer kein Tag vergangen, als wären die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht noch
immer lebendig. Anlass dafür bot vor allem die zusammengewürfelte Crew unterschied-
licher Couleur: muskulöse Gestalten, meist lebhaft und vergnügt, die Lendentücher, Shorts
und Turbane trugen und deren verwegenes Aussehen mich in jene berühmt-berüchtigte
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