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Gleichwohl ist die Erde für mich noch ein ganzes Stück größer geworden, seit ich mich mit
Faltboot, selbstgebautem Holzfloß oder einer Segelyacht aufs Meer hinauswagte. Es war der
Versuch, ein Gefühl für diese grenzenlosen »blauen Räume« zu bekommen, um mir begre-
ifbar zu machen, dass ein Drittel unserer festen Erdmasse zwar aus Sand- und Steinwüsten
besteht, dass aber drei Viertel unserer gesamten Erdoberfläche eben nicht »Erde«, sondern
Wasser sind - bewegte Ozeane, mal blau, grau oder grün, die sich über eine schier kosmis-
che Endlosigkeit erstrecken.
So kam es, dass ich im Kielwasser der Wikinger die Insel Island im Nordatlantik um-
rundete - auf den Spuren von Gardar Svavarsson, der um 865 der Küstenlinie Islands folgte
und als Erster feststellte, dass es sich bei diesem geheimnisvollen Land um eine Insel han-
delte, die in jenen fernen Tagen am Nordrand der Erde noch »Thule« genannt wurde. Später
segelte ich auf den Spuren der Phönizier kreuz und quer durch das Mittelmeer, dann fol-
gte ich Jason auf seiner abenteuerlichen Fahrt zum »Goldenen Vlies«, die in dem Buch Ar-
gonautika von Diodorus Siculus überliefert ist, bis ins Schwarze Meer. Zudem segelte ich
in der Ägäis, vor der Küste Afrikas sowie im Tyrrhenischen und Ionischen Meer auf der
sagenumwobenen Irrfahrtsroute des griechischen Helden Odysseus, dessen Kurse und Wege
bereits Homer in seiner Odyssee so faszinierend geschildert hat.
Und dann war da noch jener ungewöhnliche Segeltörn, den ich im Indischen Ozean an
Bord einer afrikanisch-arabischen Dhau erlebte. Eine Reise, die mich fast unmerklich aus
dem 20. Jahrhundert in eine längst vergangene Zeit führte, nach Sansibar, eine Insel, die mir
wie ein tropisches Märchen von Scheherazade erschien.
Die Luft war in Sansibar-Stadt mit Gewürzdüften geschwängert, und ich litt schon seit
Tagen unter der feuchtschwülen Hitze. Vom Schweißgeruch angezogen, attackierten mich
Moskitoschwärme ohne Unterlass, während es nach Moder, Müll und Urin roch. Ich sah ver-
schleierte Frauen, die in nachtschwarze Tücher gehüllt waren, und großgewachsene Män-
ner in weißen Gewändern, die auf den Köpfen buntbestickte Gebetskappen trugen, sah ver-
stohlene Kinderaugen, die durch Fenster mit Gitterstäben blickten, während vom Minarett
die Stimme des Muezzins die Gläubigen zum Gebet rief.
Mit jedem Schritt, den ich in der »Stone Town« von Sansibar-Stadt machte, tauchte ich
tiefer ein in die labyrinthartige Altstadt. Es ging durch Gassen und Gässchen, über lichte
Plätze und vorbei an Wohnhäusern und Palästen mit tausend Erkern, denen man ansah, wie
viel Zeit über sie hinweggegangen war. Vor allem Sonne, Wind und Regen hatten die Zer-
störung der kunstvollen Gebäude bewirkt. Balkone aus morschem Mangrovenholz wechsel-
ten mit verwahrlosten Einlasstoren und hohen Mauern aus porösem Korallenkalk. Hier zer-
fiel der architektonische Schatz einer ehemals reichen Stadt.
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