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ab. Meine Peilpunkte lagen so weit entfernt, dass ich alle Sinne zusammennehmen musste,
damit sich keine Fehler in meine Kursberechnungen einschlichen.
Dreimal traf ich eine kleine Karawane, die jeweils von einigen Mongolen geführt wurde.
Vermummte Gestalten, die mit einigen beladenen Kamelen aus dem gelbbraunen Fluidum
auftauchten. Für mich war das ein Glücksfall. So konnte ich nicht nur meine Wasservorräte
auffüllen, sondern bekam auch etwas Proviant für meinen weiteren Weg - und am Abend
eine warme Mahlzeit unterm Sternenhimmel.
Sechs Tage marschierte ich durch die Tengger-Wüste. Keine 200 Kilometer, doch eine
Strecke, die mir viel Kraft abverlangte. Gleichwohl erlebte ich Landschaften, in denen die
Reduktion der Elemente die Gegenwärtigkeit verstärkt. Monotone und karge Landschaften,
die nur wenig mitteilen und doch tief in die Seele eindringen. Mal lief ich am Tag 30 Kilo-
meter, mal 40, ein anderes Mal nur 20 - je nachdem, wie sich mir das ozeangleiche Land
offenbarte. Die Mongolen nennen es Tengger Dalei - »Himmels-Ozean«. Es heißt, wer die
Sanddünen der Tengger erklimmt, kann den Himmel berühren.
Wie Perlen an einer Schnur reihten sich ein paar mongolische Zeltlager, Dörfer oder Oa-
senstädte aneinander, ehe ich am 42. Tag das über 200 Kilometer lange Helan-Shan-Ge-
birge erreichte, das durchschnittlich 2000 Meter hoch ist und das die Xixia einst als hei-
ligen Bezirk betrachteten. Neun Herrscher bestatteten sie hier und mehr als 70 führende
Würdenträger ihres Volkes. Die Grabstätten erstreckten sich auf einer Fläche von viermal
zehn Kilometern: 20 Meter hohe Steinaltäre, die kleinen Pyramiden glichen. Trotz der
enormen Verwitterung konnte ich die Achteckform der siebenstöckigen Grabtürme gut
erkennen.
30 Kilometer weiter erreichte ich Yinchan. Die Hauptstadt der autonomen Region
Ningxia ist ein Industriestandort für Maschinenbau und Textilherstellung mit 650 000 Ein-
wohnern. Für die Xixia war Yinchan im 11. Jahrhundert eine der bedeutendsten Städte,
die damals »Hauptstadt des wachsenden Glücks« genannt wurde. Mittlerweile erinnern nur
noch Ruinen an dieses ehemalige Handelszentrum.
Schließlich traf ich auf die breiten Fluten des Gelben Flusses (Huang-ho), wo mich ein
Fährmann mit seinem Boot übersetzte und ich in die Ordos-Wüste kam, die der Huang-
ho in einem weiten Bogen umschließt. In dieser ursprünglich so wüstenhaften Region
sorgt eine Menge Grundwasser für viel Pflanzenwuchs. Sümpfe und Steppen wechseln mit
Flusstälern, Terrassenland und Grashügeln. Dazwischen befinden sich mächtige Dünen-
ketten.
Am 51. Tag rastete ich auf einer Anhöhe an einem Obo. Das ist ein kegelförmiger
Schrein aus Stein, der einen kleinen Buddha in seinem Inneren birgt. Auf der Spitze flat-
terten an einem Stab weiße Gebetsfahnen. Ein alter Mann kniete vor dem Heiligtum und
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