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Gleichwohl mochte ich mich nicht zur Seite wenden oder die geduckte Stellung wechseln.
Zu groß war meine Sorge, dass ich im diffusen Toben von meinen Kamelen fortgerissen
werden könnte. Wenn das geschah, war ich verloren. Unmöglich, in diesem Ödland ohne
die Kamele zu überleben. Ohne Wasser, ohne Proviant, das in den großen Satteltaschen
steckte. Niemals würde ich aus der Wüste wieder herauskommen.
Mit gespannten Sinnen lauschte ich den tausend Geräuschen des Sturmes, während ich
neben meinen Kamelen lag und trotz Hustenreiz und tränenden Augen versuchte, die Ruhe
zu bewahren. Ich wusste ja, dass der Sturm früher oder später aufhören würde, so wie er im-
mer aufhörte und weiterzog. Denn zum Glück dauert ein Sturm in der Wüste zumeist nicht
lange an, schwächt sich irgendwann ab, wird zum Starkwind, der flach über den Boden
weht und die Erde in wirbelnde Schleier hüllt, bis auch diese Winde abflauen, die Inter-
valle der Ruhe größer werden und der Sand niederfällt, wenn der Wind endlich einschläft.
Gleichwohl ist die Natur unberechenbar, sodass es auch Stürme gibt, die tagelang anhal-
ten. All das hatte ich schon erlebt und eine Menge Sandstürme abgewettert, vor allem im
nordafrikanisch-arabischen Raum, wo die Einheimischen den Sandstürmen unterschied-
liche Namen gegeben haben: Gibli, Chamsin, Samum, Scirocco und Habub. Allesamt sehr
trockene Stürme, die mit warmen oder heißen Windfurien daherkommen und über große
Entfernungen ungeheure Mengen von Sand bewegen. Stürme, die verschiedenste Erschein-
ungsformen haben, denn die Welt der Winde ist so mannigfaltig wie die Schöpfung selbst.
Mehr als zwei Stunden wütete der Sandsturm schon, als ich das Gefühl hatte, dass seine
Stärke noch weiter anwuchs. Die Böen schienen sich zu überschlagen und peitschten mit
brachialer Gewalt heran. Wie von Urkräften erfasst, fuhren die tobenden Winde in steilem
Aufstieg gegen den unsichtbaren Himmel, um von dort in rasantem Sturzflug auf die Erde
zu stürzen. Mir war, als würden sich die Kamele unter dem Hagel prickelnder Sandkörner
krümmen. Und während schrille Töne in den Lüften gellten, klammerte ich mich an die
Tiere wie ein Schiffbrüchiger auf hoher See an seinen Rettungsring.
Plötzlich bekam ich einen Schlag in den Rücken. Was war das? Ein Stück Holz? Ein
Gepäckstück? Keine Ahnung. Nur: Deutlich fiel mir jetzt das Atmen schwerer. Die Husten-
anfälle häuften sich. Immer wieder keuchte ich und sehnte mich nach Luft, frischer Luft.
Wie herrlich doch dieses Atemholen ist! Seltsam, dass einem so etwas erst auffällt, wenn
man sich in einer extremen Lage befindet.
Quälend langsam verging die Zeit im Geprassel des Sandes hinter meiner Deckung. Zäh
verrann Stunde um Stunde, und ich fragte mich, wie viele Menschen wohl schon in dieser
Wüste so wie ich im Sandsturm gelegen hatten und darauf hofften, dass das unbändige
Toben endlich aufhörte. Und für wie viele Menschen war es wohl das Letzte, was sie
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