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gheit, Weite und Stille angezogen. Ich war elektrisiert von einer Welt, in der Freiheit kein
Tagtraum war. Eine Welt, so komplex wie eine Galaxis, in der ich jenen unwiderstehlichen
Drang verspürte, immer unterwegs zu sein, immer weiterzuziehen. Ein Drang, der den No-
maden der Wüste so eigen ist.
Diese Nomaden waren es auch, die mir in jeder Hinsicht eine unbekannte und geheim-
nisvolle Welt erschlossen. Die archaische Lebensform der Beduinen, Araber, Samburu und
Uiguren sprach mein Wesen mehr an als jede andere. So kam es, dass ich Jahr für Jahr
mit einem Gefühl der inneren Befreiung - und einem bruchstückhaften Wortschatz ver-
schiedener Sprachen - in das überschaubare und traditionelle Leben unterschiedlichster
Nomadenstämme eintauchte, wo ich ein einfaches und bescheidenes Leben genoss, geprägt
von der Beschränkung auf das Wesentliche. Keine Verklärung einer idealen Lebensform,
die von Einfachheit bestimmt wird, sondern ein Dasein jenseits der übertechnisierten Zivil-
isationswelt, das mir die Augen für all die tausend Kleinigkeiten öffnete, die die Magie des
Lebens ausmachen.
Zudem traf ich in Ödland und Leere viele Menschen, die trotz ihres harten Daseins keine
Bitternis zeigten. Stattdessen waren ihre Gesichter von Güte und Heiterkeit geprägt, als
hätten sie den Sinn des Lebens erkannt. Und manchmal vermittelten sie mir sogar den
Eindruck, als wäre dieses Leben für sie nicht Herausforderung oder Wagnis, sondern ein
Geschenk.
So begann ich die wüsten Welten mit den Augen eines Nomaden zu betrachten und war
begeistert von dem, was mir widerfuhr. Ich genoss das Erwachen in der lichtdurchfluteten
Morgendämmerung, wenn das Gleißen der Sonne den Sternenglanz vertrieb, genoss den
Duft des frischen Minzetees, der auf einer kleinen Feuerstelle kochte, während ich mich
aus dem Schlafsack wühlte, genoss das Backen eines Fladenbrots, das Blau des ungeheuren
Himmels und die grünen Palmengärten der Oasen. Ich genoss das monotone Laufen in
einem Kameltreck, genoss das fließende Dahinschreiten der Wüstenschiffe, während das
Trinkwasser in den Kanistern der großen Satteltaschen plätscherte. Und ich genoss am
Abend das entspannte Ausruhen am Lagerfeuer, wenn ich meine Gedanken in den sternen-
klaren Nachthimmel entließ.
Die Wüste bot mir die Möglichkeit, viele Nomadengemeinschaften kennenzulernen. Fast
immer wurde ich dort mit Wohlwollen aufgenommen, obgleich manche Wüstenbewohner
von Armut und Hunger bedroht sind und gerade sie allen Grund hätten, ihr Hab und Gut
für sich zu behalten. Doch das Gegenteil war der Fall: In der Achtung vor dem Näch-
sten zeigten sie mir auf eindrucksvolle Weise ihre selbstlose Gastfreundschaft und Freige-
bigkeit. Niemals fragten sie mich beim Unterwegssein in der Einöde: »Was bist du? - Was
hast du?« Auch erkundigte man sich fast nie nach meiner Religionszugehörigkeit. Niemals
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