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Diese Zerrissenheit setzte sich fort bis zum Erreichen der Le-Maire-Straße, einer Meer-
enge vor Kap Hoorn. Mit Brassfahrt, bei Nebel und Nieselregen, bei Sturmwind, Fallböen
und Hagelschauern durcheilte ich diese berüchtigte Enge in der Nacht. Nur dem GPS-Gerät
vertrauend. Stromwirbel und Kreuzseen verursachten Wasserfontänen, die beidseitig des
Rumpfes zwei Meter über Deck hochspritzten. Eine gespenstische Atmosphäre verursachte
der Regen, es sah so aus, als regnete es von unten nach oben.
Sonntag, 5. Nov. - 84. Tag. Kap Hoorn runde ich mit moderaten Winden, Hagel und eiskal-
ten stürmischen Böen, die aus allen Richtungen einfallen. Sie kommen so rasch, dass
ich es nicht immer schaffe, ins Ölzeug zu springen. Besonders wenn ich aus dem Sch-
lafsackschlummer komme. Finger und Gesicht kribbeln bei zwei bis sieben Grad Luft.
Heute neunmal Großsegel gerefft, siebenmal Vorsegel gewechselt, zwölfmal änderte sich
die Windrichtung. Spüre, jede Meile muss erarbeitet werden. Ich kriege einen gehörigen
Schrecken, als ich durchs Fernglas Kap Hoorn sichte. Zu viel Strecke mit Gegenwind liegt
noch vor mir, um in Jubel auszubrechen.
Denn auch das westliche Seegebiet hinter Kap Hoorn bereitete mir große Sorgen. Zwar war
in den nächsten Tagen weiterhin ein schneller Wind unterwegs, doch ich wurde zunächst
von heftigen Stürmen verschont. Mein Alltag: die erwarteten Kreuzkurse. Das bedeutete
Gischt, Dauerschräglage, Arbeit mit den Segeln. Alle paar Stunden fuhr ich eine Wende.
Die Wende war meistens eine Halse. Gegen die Seen kam KATHENA NUI einfach nicht mit
dem Bug durch den Wind. Es gab auch Tage, da hatte ich bis zu vierzehn Reffmanöver al-
lein mit dem Großsegel. Die Etmale lagen um die 80 Seemeilen. Mit mehr hatte ich auch
nicht gerechnet, da ich, bedingt durch den Seegang, die Segel nicht hoch an den Wind stel-
len konnte. Dadurch wurde jede Strecke mehr als dreimal so lang.
Freitag, 1. Dez. - 110. Tag. Um 15 Uhr kachelt es. Wieder. Zum wievielten Male eigentlich
in der letzten Woche? Keine Ahnung. Will es auch nicht wissen. Kein Zurückblättern im Lo-
gbuch. Analyse und Statistik finden nicht statt. Gedanke: Ich kann doch nicht gleich wieder
die Tuche reduzieren. Was ist passiert? Um Mitternacht sind wir runter auf vier Quadrat-
meter. Alles geschieht sehr zögerlich. Zum Ende hin stehe ich am Mast. Lange. Was soll ich
tun? Groß weg oder besser den Rest der Sturmfock? »Ganz schnell«, sagt der Kopf, »sonst
wird es kritisch.« Und in der Tat, ein Brecher nimmt mir die Entscheidung ab. Er dreht das
Boot, überspült Deck und Cockpit und legt uns bis zu 50 Grad auf die Seite. Ich stehe in
Luv bereit. Löse eilig das Großfall, raffe das schlagende Tuch zusammen, bändsele es ein.
Schade, damit ist der gute Kurs dahin.
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