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und mit voller Wucht. Bei Stärke neun nehme ich den Rest Großsegel weg, verkrieche mich
unter Deck und lasse das Schiff treiben - die Pinne mit einem Gummistropp in Luv gesich-
ert, sodass die Seen raum einfallen.
Bei Stärke zehn und feststehendem Luftdruck steige ich wieder in Ölzeug und Sicher-
heitsgurt und klettere an Deck, um den an der Reling festgelaschten Klüver unter Deck
zu holen. Nur die winzige Sturmfock, Badehandtuch groß, lasse ich draußen - total fest-
gelascht an der Reling. Dieser geringe Widerstand sorgt dennoch dafür, dass der Seegang
alle vorderen Relingstützen stark nach innen biegt.
Riesige Brecher, aufgetürmt durch den harten Agulhasstrom, der vor allem eine kurze,
steile See aufwirft, begraben das Schiff unter Wasser und lassen es eine unglaubliche
Schräglage einnehmen. Wieder klettere ich an Deck, will an der Pinne versuchen, die Seen
mehr von achtern zu nehmen, um uns so mehr Sicherheit zu geben. Doch nach einigen
Stunden muss ich passen. Ich schaffe es einfach nicht, die Pinne zu halten, auch nicht mit
beiden Händen. Außerdem kann ich in dem Inferno um mich herum kaum erkennen, woher
die Seen kommen. Und dann habe ich auch noch furchtbare Angst, einer dieser Brecher
könnte mich trotz Gurt aus dem Cockpit zerren und in die See spülen. Ich verhole mich in
die Kajüte, lege mich so wie ich bin auf den Boden und erstarre.
Eine fürchterliche Nacht beginnt. Nach einer Handvoll »Flachliegern« gebe ich es auf
mitzuzählen, wie oft der Mast über den Drehpunkt in die See gedrückt wird und wir platt
auf der Seite liegen. Alle Schapps springen auf, Behälter sausen durch die Kajüte, Radio
und Kamera schlagen Kerben ins Holz. Bücher stürzen aus den Borden. Alles ist hinter
Schlingerbrettern und zum Teil zusätzlich mit Tauwerk gesichert, aber bei solchen Ab-
stürzen hilft auch nicht die sorgfältigste Stauung. Die fließenden Wassertürme in Ver-
bindung mit tiefen Gräben dazwischen treffen das Schiff abwechselnd von Steuerbord
und - paradox - Sekunden später von Backbord. Ein Phänomen, das ich nie zuvor erlebt
habe.
Ich werde von einer Seite auf die andere geworfen, fliege vom Boden gegen das Büch-
erbord und werde anschließend von Konserven eingedeckt, die wie Granaten durch den
Raum fliegen. Ich kann nur von Glück schreiben, dass ich gut eingepackt bin - in Wolle
und dicker Wetterkleidung. Diese Stürze geben mir das Gefühl, als ob ein Kran das Schiff
rasch immer wieder in die Höhe hebt und dann abstürzen lässt. Wie lange werden die Fen-
ster das aushalten? Der Mast? Der Rumpf? Gut, die Luken werden es überstehen. Sie sind
aus Aluminium und mit Knebelverschlüssen verschraubt. Als akustische Kulisse habe ich
einen Höllenlärm, ein orgelndes Pfeifen, Heulen und Jaulen, als ob man in einem Zug durch
Tunnel um Tunnel jagt.
Ich gebe auf.
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