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Am vierten Tag habe ich einen seelischen Breakdown. Ich schnappe mir den Fäustel und
will damit das Barometer zertrümmern. Zum Glück treffe ich nur den Alukochtopf, den ich
dagegen total niedermache. Bin unberechenbar wie die Natur. Es ist nicht Angst vor den
Elementen, es ist eine tiefe Verwundung, weil das Wetter viel Kraft kostet und es dennoch
nicht vorangeht. Zwölf Längengrade in zwölf Tagen, das sind nur gerade 30 Seemeilen pro
Tag.
Wann und wie spürt man, dass man verrückt wird? Spürt man es überhaupt? Klares Den-
ken fällt mir im Augenblick schwer. Soll ich den Kurs umlegen? Die Inseln des Pazifiks
liegen nicht weit entfernt im Norden. Tahiti, Fidschi, Tuvalu, Samoa. Hübsche, warme Süd-
seeinseln, Palmen und blaue Lagunen, mein altes Paradies. Drei Jahre war ich dort un-
terwegs, 1976 bis 1979. Mit Frau und Sohn, der damals noch klein war. Glückliche Zeit!
Seekarten für meine geliebten Inseln habe ich an Bord - für alle Fälle. Wie groß ist die Ver-
suchung?
Gering. Mein Wille ist noch vorhanden.
Aber ich weiß auch: Wenn ich dort wäre, würde ich nie aufhören, mich zu fragen, warum
ich es nicht zu Ende gebracht habe. Ich bin jetzt 60. Noch eine Chance für eine solche Fahrt
wird es in meinem Leben nicht geben.
Also weiter. Leben in Ölzeug, leben in Nässe. Das Vorschiff schaufelt mit jeder Welle
von vorn Wassermassen über den Kajütaufbau und Deck ins Cockpit und in die Taschen
meiner Jacke. Von dort trage ich das Wasser ins Innere des Schiffes. Vieles ist nass, alles
klamm. Stockflecken breiten sich aus. Salz ist meine Welt.
8. Mai - 267. Tag
Seit Stunden nur noch fliegendes Wasser um mich. Die See mehr weiß als blaugrau. Die
Sonne scheint, und man sieht durch das im Wind wehende Wasser wie durch einen Sch-
leier. Ein herrlicher, aber gefährlicher Anblick. Schwerer Sturm. Ich denke, dass Wind und
See bald nachlassen werden, aber ich täusche mich.
In der Abenddämmerung holt mein Boot zum ersten Mal so weit über, dass der Mast der
Länge nach auf die See schlägt. Ich hänge mit dem Bauch über dem Kocher und sehe durch
das Fenster vor mir nur noch blaugrauweißes Wasser. Der Sturm wird zum Orkan.
Dabei dachte ich, mit dem Ende des Südpolarmeeres hätte ich das Schlimmste hinter
mir. Jetzt bin ich im Agulhasstrom vor dem Kap der Guten Hoffnung, 100 Meilen östlich
von Port Elizabeth, und es wird von Stunde zu Stunde schlimmer.
Dabei hatte diese Heimsuchung ganz harmlos angefangen. Ein wenig Druckabfall, ein
kurzer Nordoststurm, dann acht Stunden Windstille. Danach ging's aber los, aus Südwest
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