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Kapitel 10
Das Leben danach
Ein Spaziergang im Wald
Ich sah zu, wie sich das Meer in der Dunkelheit auflöste. Als die Wellen sich hoben und sen-
kten, schien es, als würden 1000 Köpfe auftauchen und wieder verschwinden. Es war aber
nur das silberne Licht des aufgehenden Mondes, der noch immer fast voll war: Das Licht
wurde von den weißen, schäumenden Wellenkämmen eingefangen, die im verblassenden
Zwielicht schimmerten wie ein funkensprühender Spiegel, in dem sich die aufgehenden
Sterne des Nachthimmels spiegelten. Melissa und ich lagen gemeinsam in einer der Hänge-
matten und hielten uns fest, als wir zusammen einschliefen.
Ich rechnete mit Albträumen. Ich hatte aber keine, und am nächsten Morgen hatte ich vage
Schuldgefühle, weil ich so ruhig geschlafen hatte. Ich war dankbar für die kleine Zeremonie
auf den Felsen. Das Fortschleudern des San Pedro; still dort zu sitzen, während die Wellen
gegen die Felsen schlugen und die Gischt um uns her sprühte. Es schien richtig - als erfüllte
sich dadurch das Grundbedürfnis nach irgendeiner Art von Zeremonie, um sich von einem
Freund zu verabschieden.
Hätte ich versuchen sollen, Mark zu retten? Die Logik sagte mir, dass der Versuch zugleich
erfolglos und selbstmörderisch gewesen wäre. Ich konnte mich an gewisse lebensrettende
Maßnahmen aus der Schule erinnern: Ein lahmes Rückenschwimmen, das sogar in einem
ruhigen Schwimmbecken jämmerlich war. Aber dieser hinterhältige Ozean war etwas völlig
Anderes. Trotzdem … hätte ich es nicht doch versuchen sollen? Und wenn ich beim Versuch
gestorben wäre. Taten, heißt es, sagen mehr als Worte, und als es darauf ankam, hatte ich
nichts getan. Vielleicht - wahrscheinlich - hatte ich richtig entschieden. Aber in diesem
Augenblick erkannte ich meine wahre Persönlichkeit. Vorsichtig und ängstlich. Genau wie
beim Ayahuasca -Trip bei den Cofan, als ich Angst gehabt hatte, mich ganz loszulassen. Ich
war so ängstlich, wie Mark furchtlos gewesen war. Er war bis an die Grenze gegangen. Und
schließlich darüber hinaus.
Am nächten Morgen gab es immer noch kein Zeichen von Marks Körper, also verließ ich
den Strand und ging auf dem Pfad durch den Dschungel nach Santa Marta. Ich musste sein-
en Tod anzeigen und dann … dann musste ich Marks Vater anrufen. Um ihm zu sagen, dass
sein Sohn tot war.
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