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Zehnter Tag
Ich schlief mich aus. Erst gegen Mittag radelte ich in Richtung Gießen los. Dort
kam ich auch gut an. Gießen sollte nur Zwischenstation sein. Eigentlich wollte ich
weiter über Butzbach bis Hanau und dort in der Nähe einen Zeltplatz suchen, doch
es kam wieder einmal ganz anders.
Diese Stadt klammerte sich an mich, wie manche Frauen das tun, die partout
nicht einsehen wollen, dass man wirklich nichts von ihnen will. Sie wollte mich
einfach nicht fortlassen und ihre Bewohner halfen ihr dabei. Sie wollte mich in
sich hineinziehen. Gleich von Anfang an. Am Stadtrand hielt ich an einer Ampel.
Neben mir kam ein junger Radler zum Stehen. Den Weg nach Butzbach wisse
er schon, meinte er, ich müsse nur da vorne erst nach rechts, dann nach links,
dann geradeaus durch die Fußgängerzone und dann nach der Frankfurter-Straße
fragen. Fußgängerzonen unterwegs sind ein Gräuel. Sie wollen durchschoben
werden, denn sie sind vollgestopft mit Menschen, die Durchreisenden konsum-
lüstern und schautrunken torkelnd den Weg versperren. Das bedeutet: Schieben,
Stehenbleiben, Schieben, Stehenbleiben, Entschuldigungen murmeln, gemurmelte
Entschuldigungen entgegennehmen, Schieben, Stehenbleiben, Schieben, Stehen-
bleiben und einen großen Zeitverlust. Dennoch wäre ich bereit gewesen, dieses
Kreuz auf mich zu nehmen, wäre da nicht das Fahrradschild gewesen. Grüner
Radler auf weißem Grund und darunter ein Pfeil. Das, so hatte mein heimischer
Computer behauptet müsse der richtige Weg sein. Allerdings hatte da auch gest-
anden, dieser Weg wäre teils überhaupt nicht, teils völlig sinnwidrig beschildert.
Warnungen sind dazu da, in den Wind geschlagen zu werden. Hier war eine Mög-
lichkeit der Stadt Gießen und ihrer Fußgängerzone auszuweichen. Das wollte ich
auf jeden Fall versuchen. Ich ließ die Stadt links liegen und kam ungestört gut vor-
an. In Heuchelheim gab es eine Straße nach Wetzlar und ein Schild für Radfahrer
miteinemPfeil.AlsbraverStaatsbürgerglaubtmananKreisverwaltungen,Straßen-
bauämter und Beamte, die Schilder mit Pfeilen an Straßenecken aufstellen und
man glaubt auch daran, als ein Staatsbürger mit Fahrrad ernst genommen zu wer-
den. Das ist falsch. Ein Staatsbürger mit Fahrrad ist für einen Beamten der Herr
über Schilder und deren Aufstellung ist, die beste Gelegenheit seine sadistischen
Triebe auszuleben, ihn feixend in irgendwelche Richtungen auf miserable Fahr-
bahnen zu schicken und ihn dort im Nirgendwo orientierungslos und hilflos stehen
zu lassen. Es gibt nur diese eine Erklärung, für das was radfahrenden Staatsbür-
gern vielerorts in Deutschland angetan wird.
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