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Also, eigentlich gibt es noch eine zweite Erklärung. Aber daran will ich gar nicht
glauben. Nein. Das kann nicht sein. Oder sind diese Beamten wirklich einfach nur
dumm? Handelt es sich um Schildbürgerbeamtenstreiche? Nein. Nein, bestimmt
nicht; das täuscht. Oder?
In meinem Glauben an die Gleichberechtigung von Staatsbürgern mit Fahrrad
und solchen mit Kraftfahrzeugen rollte ich also auf dem von Amts wegen für
mich bestimmten Weg hinaus aufs hügelige Land. Nachdem ich ein paar leichte
Steigungen überwunden hatte, befand ich mich auf einer grünen Ebene mit weiten
Feldern und zwei bewaldeten spitzen Bergkuppen am Horizont, auf denen ich bur-
gähnliches Gemäuer ausmachen konnte. Die Landschaft war schattenlos. Bäume
gab es nur in weiter Ferne. Die Sonne brannte mir auf den Rücken. Der Himmel
erstrahlte in schönstem Blau. Das alles war auf eine abwegige Weise reizvoll. Ich
stieg vom Rad, um die Burgen zu fotografieren. Und weil ich schon eine Weile
den Verdacht hegte, völlig falsch gefahren zu sein. Diesen Verdacht teilte auch
ein Radfahrer, der zufällig vorbeikam und mir, mit besorgt hin und her pendelndem
Kopf riet, nicht weiterzufahren, sondern zurückzukehren nach Gießen, um von dort
aus Butzbach zu erreichen. Er meinte zwar über Rodheim, dabei zeigte er auf die
Straße links von den Burgen, und die Berge käme ich auch dorthin, aber das wäre
ein gewaltiger und beschwerlicher Umweg. Da hatte er vermutlich recht. Ein Blick
auf die Karte zeigte, dass ich mich genau in Gegenrichtung zu meinem eigent-
lichen Ziel bewegte. Das musste zwar nicht unbedingt von Bedeutung sein, denn
Radfernwege wanden sich häufig in den seltsamsten Krümmungen und erzielten
oft die vielfache Länge einer direkten Verbindung zwischen zwei Orten. Das war
sicherlich aus irgendwelchen Gründen so beabsichtigt. Aber in diesem Fall war
wohl eher mein Wunsch der Stadt Gießen auszuweichen der Vater der Wegfind-
ung gewesen.
Zurück nach Gießen. Gießen erinnerte mich instinktiv an eine dieser ordinären,
modischen Blondinen mit kurz geschnittenen Haaren, Piercings und aufreizenden
Tattoos, die nichts anderes im Sinn hatten als einen Kerl, kaltblütig und berechn-
end zwecks Lustgewinn an sich zu ziehen und wenn möglich finanziell aus-
zunutzen, wobei sie sich dann als ebenso langweilige wie ungeschickte Nest-
bauerinnen offenbarten. Ich verabscheue solche Frauen.
Marburg dagegen war wie ein romantisches Mädchen mit langen schwarzen
Haaren, dunklen verträumten Rehaugen, voller Warmherzigkeit und dem ver-
borgenen Temperament einer Wildkatze gewesen. Natürlich gab es in der Unter-
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