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Der Götakanal - Schwedens Blaues Band
Eine nach damaligen Gesichtspunk-
ten verrückte Idee spukte bereits vie-
le Dekaden durch Intellektuellenkrei-
se, bis sie Anfang des 19. Jh. in den
Bereich des Möglichen rückte. Unter
tatkräftiger Federführung des deutsch-
schwedischen Aristokraten und Of-
fiziers Baltzar von Platen (*1766 auf
Rügen), der ein Faible für Kanalbau-
ten besaß, nahm das Projekt dann an
Fahrt auf. Die Idee, Stockholm und
Göteborg mit einem Wasserweg di-
rekt zu verbinden, war so brillant wie
einfach. Ein Kanal, der die beiden rie-
sigen schwedischen Binnenseen Vä-
nern und Vättern als natürliche Was-
serstraßen nutzte, würde die Schiffs-
verbindung zwischen den zwei Met-
ropolen um über 800 km verkürzen.
Der Umweg durch den dänisch kont-
rollierten Öresund entfiele und auch
die Zollabgaben an das Kopenhage-
ner Königshaus könnte man sich spa-
ren. Der schwedische Reichstag ließ
sich - nicht zuletzt aufgrund des mili-
tärischen Arguments der Möglichkeit
eines schnellen Truppentransports
von Ost nach West (oder umgekehrt)
- überzeugen und stellte das immense
Kapital dafür bereit.
Die technische Herausforderung ei-
nes solchen Kanalbaus war sehr groß
und von Platen war Offizier, Adeliger,
Politiker und Staatsmann, aber kein
Bauingenieur. In dem Briten Thomas
Telford, den er bei Forschungsreisen
zum Thema Kanalbau in England ken-
nengelernt hatte, fand er seinen tech-
nisch-genialen Gegenpart. Telford war
der brillanteste Straßen-, Brücken- und
Kanalbauer seiner Zeit und noch heu-
te zeugen Dutzende Bauwerke, insbe-
sondere im Vereinigten Königreich,
von seiner Ingenieurskunst. Erstma-
lig wurden britische Dampfbagger ein-
gesetzt, um den Kanalbau vorwärts
zu treiben. Das Gros der Arbeit wur-
de jedoch manuell mit Holzspaten von
fast 60.000 Soldaten geleistet. Insge-
samt buddelten sie sich durch 190 km
schwedisches Binnenland und schufen
58 Schleusen. Zusammen mit den na-
türlichen Wasserwegen hatte der Göta-
kanal bei seiner Einweihung 1832 eine
Gesamtlänge von 390 km. Baltzar von
Platen hat die Fertigstellung seines Le-
benswerks nicht mehr erlebt: Er starb
1829.
Die Bedeutung des Götakanals
blieb insbesondere wegen des Auf-
kommens einer neuen Technik deut-
lich hinter den Erwartungen zurück.
Die Eisenbahn war viel schneller als
die behäbigen Boote des Götakanals
und bereits 1862 bestand eine direk-
te Zugverbindung zwischen Stockholm
und Göteborg. Einzig unverderbli-
che Massenware wie Holzprodukte,
Kohle und Eisenerz wurde weiterhin
über den Kanal befördert. Nach Jah-
ren des (Fast-)Vergessens erlebte das
wichtigste Wunderwerk Schwedens,
von Lesern einer Tageszeitung 2007
dazu gewählt, eine Renaissance. In
den 1970er-Jahren wurden mehr und
mehr Touristen auf das Blaue Band
aufmerksam und heute verkehren in
der Sommersaison ca. zehn Touris-
tenboote zwischen Nord- und Ostsee.
Selbst das älteste Passagierschiff der
Welt, die 1874 in Dienst gestellte „M/S
Juno“, verrichtet noch immer gemüt-
lich seinen Dienst auf dem Götakanal.
Auch die Reisegeschwindigkeit ist
nicht schneller geworden: Heute noch
benötigt ein Schiff für die 390 km fünf
bis sieben und selbst in der Nebensai-
son noch drei bis vier Tage.
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