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seines geschundenen Motors ins Gesicht. - Sekunden später ziehe ich mühelos an ihm
vorbei in Richtung Tal.
Die Straße weist ein Gefälle von über 10% auf. Notausfahrten mit tiefem Kiesbett warten
an den Kehren auf die, die das Lenkrad nicht rechtzeitig herumreißen können oder deren
Bremsen versagen. Es fängt zu nieseln an. Aber nur ganz leicht. Das macht den Asphalt
schön ölig. Doch wir schonen uns nicht. Immer, wenn sich die Straße leicht in die Kurve
legt, merkt man, dass das Gepäck samt Hinterrad lieber geradeaus möchte. Hinzu kommt
kerniger Seitenwind. Bei 85 km/h schmiert das Hinterrad dann tatsächlich langsam zur Sei-
te. Gerade jetzt, wo's so schön war. Mit freudiger Anteilnahme stellen wir fest, dass die
Bremsen trotz Nieselregen noch nicht den Dienst versagen. Bei Tempo 40 dürfen sie sich
wieder für ein paar Minuten erholen.
Unten im Becken empfängt uns die feuchte, klebrige Hitze des Big Horn River im Son-
nenuntergang: Bei der Abfahrt stieg die Temperatur binnen weniger Minuten um rund 20
Grad.
Der Berg läuft schließlich in eine weite Steppenlandschaft aus. Wir reißen uns Jacke und
Halstuch vom Leib und strampeln in die ungeschützte Ebene hinaus. Wind kommt auf. Un-
glaublicher Wind. Es weht uns fast von den Rädern. Aber darauf können wir jetzt keine
Rücksicht nehmen. Wir müssen ja heute noch nach Lovell.
Im peitschenden Sturm überholen wir zwei Mädels, die mit ihren Rädern von Rapid City
nach Yellowstone Park unterwegs sind. Schließlich lässt der Wind nach, die Straße macht
einen Knick nach links und wir überqueren auf einer langen Brücke die weitläufigen Au-
landschaften des Big Horn Lake.
Als wir in Lovell ankommen, ist es fast dunkel. Acht Stunden netto sind wir im Sattel
gesessen. 174 Kilometer auf der 14a, 2000 Höhenmeter hinauf ins Gebirge, dann nach kur-
zer Abfahrt noch einen zweiten, etwas höheren Berg hinauf und das Ganze wieder in die
Ebene hinter den Big Horn Mountains hinab. Auf der Karte stellen die Big Horns die ersten
„Rippel“ der Rocky Mountains dar. (Das kann ja heiter werden.)
Als wir an der Haustür von „Julia“ klopfen, merken wir sehr schnell, dass uns die Phan-
tasie auf der Bergetappe ein bisschen durchgegangen ist (aber wer weiß, ob wir sonst bis
Lovell gekommen wären). Julias Vater Gary ist nicht nur Turnlehrer, sondern auch selbst
begeisterter Hobbyradfahrer; und er empfängt uns, als ob wir seine alten Nachbarn oder die
neuen Untermieter wären.
Der Mann ist wirklich gut auf uns vorbereitet: Er hatte uns zwar früher erwartet als 21
Uhr, aber dafür stopft er uns jetzt mit allerlei Delikatessen voll. Gierig, wie wir sind, schlin-
gen wir fast alles in uns hinein. Dann wird getratscht und ins Bett gegangen - natürlich
jeder in sein eigenes.
Vor dem Schlafengehen hat uns Gary noch mit unermesslichem Vertrauen überschüttet:
„Ich muss morgen um 6 Uhr als Letzter aus dem Haus. Ihr könnt gern noch einen Tag blei-
ben. Der Kühlschrank ist voll. Bedient euch!“
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