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Diese 68 Tage sind etwas zu Großes, um es ganzheitlich zu betrachten. Aber mir
fällt keine andere Sichtweise ein, um damit fertig zu werden. Jesse, der Drehbuchau-
tor, weiß, was ich damit sagen will: „Eure Reise ist wie ein schlechter Film“, erklärt
er mir. „Was euch fehlt, ist ein Anfangspunkt, eine Mitte und ein definitives Ende.“ -
Ich bin überrascht, dass er das so gut versteht. Tatsächlich war nicht San Francisco,
sondern der Weg das Ziel. Und an den Anfang kann ich mich schon fast nicht mehr
erinnern.
Ich beende meine Tagebuchaufzeichnungen mit dem zufriedensten, ausgeglichensten Ge-
fühl, an das ich mich erinnern kann, und der unüberhörbaren Sehnsucht, bald nach Hause
zu Freunden und Familie zurückzukehren. In den letzten zwei Monaten habe ich unheim-
lich viel gelernt. Vieles wird mir selbst nicht bewusst werden, mit Sicherheit aber meinem
Leben eine neue Richtung geben.
8.
Die Straßen von San Francisco
Fernsehserie
Auch heute sind wir wieder unterwegs. Und die darauf folgenden Tage. - Man braucht
seine Zeit, um in San Francisco anzukommen.
Während einer Reise wie dieser verliert man seinen inneren Halt. Im Geiste hinkt man
immer ein paar Tage hinterher, und so ist man an manchen Orten auch dann noch, wenn
man sie in Wirklichkeit schon lange verlassen hat. Immerhin sind wir fast jeden Tag gefah-
ren. Bloß, man ist nicht jeden Tag zum Fahren bereit. Auf dem Rad hat man viel Zeit, das
alles aufzuarbeiten. Aber in San Francisco?
Um Distanz zu gewinnen, schreiben wir ungefähr 50 Postkarten - an unsere Freunde ent-
lang der unsichtbaren Spur, die wir quer durch Amerika gezogen haben. Am Fisherman's
Wharf essen wir Krabben (die lokale Spezialität), um uns San Francisco einzuverleiben. Es
hilft auch, sich in eine Bar zu setzen und mit Anchor Steam (dem örtlichen Bier) volllaufen
zu lassen. - Zumindest wirkt es spannungslösend.
Die Anpassung ist trotzdem schwierig. Ein Problem, das wir eher am Anfang unserer
Tour erwartet hätten. Aber die Reise begann langsam. Es ist das Ende, das so abrupt
kommt. Jetzt plötzlich wieder ein normaler Bürger zu sein, nicht beachtet und nicht mehr
angesprochen zu werden: Ungefähr so muss es sein, wenn Superman auf einmal seiner Su-
perkräfte beraubt wird und auf ewig Clark Kent bleiben muss.
Jetzt, wo die Leute sich nicht mehr um uns kümmern, fehlt mir etwas. Nun müssen
wir wieder alles selber machen. Dabei waren mir die vielen neugierigen Fragen am
Ende schon ziemlich auf die Nerven gegangen. - Eitel sind wir geworden in all den
Wochen. Ich werde gerne für etwas Besonderes gehalten. Jetzt fühle ich mich dafür
einsam. Kleine Identitätskrise also.
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