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Wir fahren deswegen konsequent langsam. Tobi scheppert und quietscht wie nie zu-
vor. Ich wusste ja schon immer, dass bei dem Kerl eine Schraube locker ist!
Wie durch ein Wunder schaffen wir es ohne Totalschaden bis in die Collegestadt Chico.
Unsere Herbergssuche führt uns zunächst bei wachsender Sorge durch endlose Außenbe-
zirke. Trotz schlechter Vorzeichen (Städte mit 50.000 Einwohnern sind einfach nichts für
Mitleid heischende, Schlafplatz schnorrende Radfahrer) ist uns das Schicksal wieder ein-
mal hold.
Nicht nur, dass wir einen Baptistenpfarrer finden, der uns gleich das gesamte Jugend-
Versammlungshaus seiner Gemeinde zum Nächtigen überlässt, der Mann schafft es auch
tatsächlich, mit Hammer und Schraubenzieher die Spezialschraube an meinem Hinterrad
zu öffnen. (Wahrscheinlich hat er sie heimlich aufgebetet!) Gemeinsam wechseln wir in sei-
nem Werkzeugschuppen die kaputte Speiche aus und bringen die verzogene Felge wieder
ins Lot.
Nach geglückter Operation wird Chico unsicher gemacht: Eis fressen, Coke trinken, Te-
lefonieren (Mütterchen hat heute - wenn man die Zeitverschiebung mit berücksichtigt -
Geburtstag), flippern, Video spielen - kurz: Nach Einbruch der Dunkelheit stillen wir un-
seren durch spartanische Genügsamkeit gesteigerten Zivilisationsdurst immer exzessiver
durch die fast schon sündhafte Befriedigung primitivster Grundbedürfnisse.
Höhepunkt: eine Schlacht unter Brüdern an einem Do-it-yourself-Hotdog-Stand (1 Dol-
lar das Stück). Stefan hat nachher sein ganzes Hosenbein voll grüner Zwiebelsauce, und
ich sehe aus, als hätte ich mich mit leuchtend gelbem Senf bepinkelt. - Ein klassisches Un-
entschieden.
4.
Shit!
Ruf der Wildnis
Noch bevor wir uns ausreichend von unserer Schlafstätte distanzieren können, fängt uns
Chicos Elitetruppe baptistischer Redefanatiker ab. Ohne dass einer von den dreien (zwei
Frauen und ein Mann) erkennbar Luft holt, umzingeln sie uns mit großkalibrigen Wort-
schwallen und halten uns damit so lange in Schach, bis wir einem von ihnen listig eine
Kamera in die Hand drücken, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Dem verschlägt's dar-
aufhin für fast drei Minuten die Sprache (bis er den Auslöser gefunden hat), was wir wie-
derum nützen können, um unsere Flucht vorzubereiten.
Nach einem französischen Frühstück in einem Dinner-Bistro (Croissants, Flan und nette
Mädchen) fahren wir auf Route 45 an Dayton vorbei nach Süden. - 19 Meilen später legen
wir vor einem Supermarkt eine kleine Getränkepause ein.
Während Tobi stundenlang mit einem Freund in New York telefoniert, unterhalte
ich mich mit ein paar Einheimischen und reiße dabei - nur so zur Übung - eine Über-
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