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die Abschläge unserer Gastgeber an und gehen dann, nachdem sie mit ihren elektrischen
Einkaufswagerln am grünen Horizont versunken sind, frühstücken.
Die Kellnerin (sie heißt bestimmt Judy, das Lokal heißt nämlich „ Judy's“) serviert uns
auf ihrer lieblichen Terrasse mit einem letzten Panoramablick auf die Sawtooth Mountains
eine Megaportion Pancakes, Würstel und Orangensaft. („Was, das alles für nur vier Dol-
lar?“) Wir lassen noch einmal intensiv die Seele baumeln, bevor es aus diesem Paradies
hinaus in die sengende Wüste Oregons geht.
Am späten Vormittag machen wir Bekanntschaft mit Pfirsichen aus Idaho: Der Preis ist
eine Unverschämtheit, die Verkäuferin hat sie schlecht gewaschen - aber das Fruchtfleisch
ist so süß und saftig (Sonne hat's hier offenbar genug), dass es alles andere vergessen lässt.
In der Folge verwandelt sich die Traumlandschaft wie erwartet in trockene, heiße Steppe.
100 Grad Fahrenheit, vertrocknetes Gras, reifes Korn, durstige Kühe und Pferde. Nur der
Fluss heißt noch immer South Fork Payette River. Breit, braun und träge ist er geworden,
nachdem er heute Morgen noch rauschend klares Gebirgswasser geführt hat.
Sehr bald (die Pfirsiche waren zwar gut, aber nicht ausreichend) müssen wir eine zweite
Pause einlegen. Das Radfahren ist mühsam geworden in dieser Hitze. Jede Steigung ist wie
eine Strafe und der Verkehr wird auch wieder stärker.
Irgendwo am Straßenrand hat Stefan unerklärlicherweise die herausgerissene Mittelseite
eines Penthouse-Magazins gefunden. Wortlos klemmt er das „Pin-up“ gut sichtbar an sei-
nen Gepäckträger. Damit ich nicht immer auf seinen Hintern starren muss, erklärt er mir
später. Und bereitet mir einen Augenblick höchster Erfrischung, als ich mich mal wieder
bis auf zehn Meter an ihn herangearbeitet habe. Schlagartig verringert sich die Distanz
um weitere acht Meter. Trotzdem bleibt Stefan streng mit mir: Da es sich um einen Pin-up-
Kalender handle, dürfe ich die vermutlich mindestens ebenso ansprechende Rückseite des
Blattes erst morgen sehen.
Als die Nachmittagshitze zu groß wird, flüchten wir im 20-Einwohner-Dörfchen Letha
in einen kleinen Lebensmittelladen. Dabei ist es ja eigentlich eine Videothek. Oder doch
ein Postamt? - Nein, und eine Bücherei ist auch da (wie nett …)! Der Versuch, einen Film
auszuleihen („Presidio“ mit S. Connery um nur 1 Dollar) und ihn gleich vor Ort in der
Bücherei-Sektion anzusehen, scheitert zu unserem größten Bedauern am defekten Videore-
corder. (War draußen über der Tür denn nicht auch „Kino“ gestanden?)
Auch ohne den Film gesehen zu haben sind wir dann so müde, dass wir gleich bei einem
der nächsten Häuser um Schatten (unter dem Baum im Vorgarten) und einen Schlauch zur
Kühlung bitten. Die alte Dame, die hier mit ihrem Mann wohnt, bietet uns stattdessen (in
ihrer überschwänglichen Freude, dass sich in Letha endlich mal was tut) nach und nach
Dusche, Essen (Cornflakes mit Heidelbeeren und Pfirsich-Jelly mit Milch) und schließlich
sogar Quartier für die Nacht an. All das macht sie mit erkennbarer Routine - schließlich
haben hier schon einmal durchreisende Radfahrer genächtigt, und das soll noch nicht ein-
mal zehn Jahre her sein.
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