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aber es macht einfach keinen Sinn. Dafür müssen wir im abgehenden Tal bis auf einen
4200 Meter hohen Pass schieben, wir müssten die Strecke mehrfach gehen und das Ge-
päck aufteilen, eine Aktion von mehreren Tagen. »Abgesehen von dem tagelangen Auf-
wand. Überleg doch mal: Wir müssten die nächsten zwei Monate unserer Tour immer
auf der Hut sein, keine Einladung annehmen, versteckt übernachten und nur in kleinen
Dörfern anhalten. Die ersten Tage bis hinter den Checkpoint bei Mazar dürften wir nur
nachts fahren, und unser Visum müssten wir als illegale Migranten in Lhasa verlängern,
ein fast unmögliches Vorhaben«, rede ich Paul ins Gewissen, der eigentlich selbst längst
weiß, wie unmöglich dieser Plan ist. Trotzdem überredet er mich dazu, uns zumindest
den Weg über den Kamm anzusehen. Wir frischen im Dorf noch unseren Proviant auf
und treffen dort zufällig einen chinesischen Radfahrer, der uns eine »inoffizielle Adres-
se« in Yecheng (Kargilik) gibt, wo wir eventuell ein Permit bekommen können. Als wir
in das abgehende Tal einbiegen, müssen wir schon nach drei Kilometern feststellen, dass
unsere letzte Chance, der Weg über den Berg, durch eine fast senkrechte, etwa 20 Meter
hohe Felswand versperrt ist. Wir hatten sie auf den Karten übersehen.
»Wir müssen es akzeptieren, Hansen. Lass uns zurück nach Kargilik fahren und dort
als letzten Versuch zu dieser geheimen Adresse gehen.« Ich nicke stumm und schaue auf
die schneebedeckten Berge. Auch Paul starrt regungslos das Tal hinauf und schluckt. Mi-
nuten vergehen, keiner sagt etwas. »Wenn mich diese Tour eins gelehrt hat, dann dass
man nicht einfach so reisen kann«, unterbreche ich nach einiger Zeit die Stille. »Die
Welt ist voller Grenzen, die es einem verbieten, sie ganz zu bereisen. Keiner kann ein-
fach eine Weltreise machen. Die romantische Idee, hingehen zu können, wohin man
will, ist absolut naiv. Dabei ist es doch ein und derselbe Planet, verdammt! Eine Weltrei-
se ist nur eine Aneinanderreihung von Erlaubnissen oder Verboten anderer, das hat mit
Selbstbestimmung nichts zu tun!«
Wieder Stille. Wir beschließen abzufahren, zurück zu dem Schlafplatz, an dem wir
heute Morgen aufgebrochen sind. Dieselbe Strecke zurückzufahren, ist fast unerträglich.
Ständig verschwimmt mir die Sicht vor Traurigkeit. Je weiter wir abfahren, desto defini-
tiver ist die Entscheidung: Wir werden unseren Traum nicht verwirklichen und nicht
durch Tibet, vorbei am K2 und Mount Everest nach Lhasa fahren, sondern stattdessen
durch die Taklamakan-Wüste, über Sichuan nach Chengdu. Der allerletzte Funken Hoff-
nung ist das inoffizielle Visabüro. Aber als wir zwei Tage später zurück in Kargilik sind,
ist auch der verflogen. Als Paul sich vor dem Schalter stehend zu mir umdreht und den
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