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hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Der Bundesbrief von 1291 ist in einem großen, fah-
nengeschmückten Saal ausgestellt und wirkt vielleicht deshalb so klein - ein Taschentuch
im Vergleich zum Strandtuch der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Das ver-
gilbte Pergament ist mit feinsäuberlichen gotischen Buchstaben eng beschrieben, sodass
es an ein Dokument aus einem Tolkien-Roman erinnert. Zwei Wachssiegel hängen wie
klobige Klunker daran; leider fehlt das dritte, ausgerechnet das von Schwyz. Die Urkunde
wirkt viel zu klein und zerbrechlich, um auch nur die Bootsfahrt vom Rütli zu überste-
hen, geschweige denn ein Land zu begründen.
Damit schließt sich der Kreis auf dieser Reise durch die Geschichte - von einer Wiese,
auf der ein Eid geleistet wurde, zum Bundesbrief, der aus dem Eid hervorgegangen ist.
Die Vergangenheit ist kein Land, sie ist das, was jedes Land zu dem macht, was es heute
ist. Auch der flüchtigste Blick zurück hilft uns, die Gegenwart zu begreifen. Über 700 Jah-
re nach dem Treffen der drei Männer auf der Wiese oberhalb des Sees sind die Folgen des
Pakts nicht zu übersehen. Natürlich gab es im Lauf der Zeit Veränderungen, mal zum
Guten, mal zum Schlechten, aber der ursprüngliche Bund dreier freier Gemeinden steht
im Zentrum der modernen Schweiz. Konflikten und Kompromissen ist es zu verdanken,
dass das heutige Bündnis perfekter ist als das von 1291, und es hat sich gezeigt, dass Er-
folg nicht von Größe und Macht abhängt. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat dieses kleine
Land in der Mitte Europas überlebt, während größere Reiche und andere Republiken ge-
fallen sind.
Nicht schlecht für eine Ansammlung von Bergbauern und Kuhhirten. Hilfreich war,
dass sie wichtige europäische Handelswege kontrollierten - die Bergpässe, auf die es an-
dere Länder abgesehen hatten und, wichtiger noch, ihren Konkurrenten nicht gönnten.
Die Großmächte waren es zufrieden, dass die Schweizer die Zügel in der Hand behielten,
zum Vorteil aller Beteiligten. Und ein gemeinsamer Feind, seien es die Habsburger, Napo-
leon, die Nazis oder Brüssel, hat die Schweizer immer wieder in der Einsicht bestärkt,
dass es besser ist zusammenzuhalten. Nichts ist geeigneter, um interne Unstimmigkeiten
zu glätten, als eine äußere Bedrohung.
Die Eidgenossen gehen nicht mit ihrer Geschichte hausieren. Es gibt nur wenige
Standbilder ihrer historischen Helden, selten Denkmäler für vergessene Schlachten und
kaum Ehrenmäler für die Toten. Das soll nicht heißen, dass die Geschichte ignoriert wür-
de. Die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf andere Aspekte der Vergangenheit:
Traditionen werden verteidigt, Bräuche gepflegt und Gebäude restauriert, und zwar mit
einer Leidenschaft, die Ausländer den Schweizern gar nicht zutrauen. Sie sind stolz auf
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